OLG Frankfurt a.M.: Social Media Plattformen haften für Rechtsverstöße nur dann, wenn sie nach einem konkreten Hinweis auf den Inhalt und Nutzer auf rechtsverletzende Inhalte keine Prüfung und ggf. Folgemaßnahmen ergreifen

Veröffentlicht von

Sind die Vorgaben für den konkreten Hinweis nicht erfüllt, dann besteht keine Pflicht, entsprechende Beiträge zu bewerten und ggf. zu löschen. So das Gericht in dem Urteil in einem einstweiligen Verfügungsverfahren vom 13. Juni 2024 (Az.: 16 U 195/22). Es führt dazu in den Entscheidungsgründen unter anderem aus:

„…Die Beklagte stellt mit soziales Netzwerk1 lediglich eine Plattform für Äußerungen Dritter zur Verfügung. Unmittelbarer Störer ist allein der Nutzer, der Beiträge dort einstellt. Für die Verhaltenspflichten eines Hostproviders, der dem unmittelbaren Störer die Internetplattform zur Verfügung stellt, hat der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung folgende Grundsätze aufgestellt: Danach ist ein Hostprovider zur Vermeidung einer Haftung als mittelbarer Störer grundsätzlich nicht verpflichtet, die von den Nutzern in das Netz gestellten Beiträge vor der Veröffentlichung auf eventuelle Rechtsverletzungen zu überprüfen. Er ist aber verantwortlich, sobald er Kenntnis von der Rechtsverletzung erlangt. Weist ein Betroffener den Hostprovider auf eine Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch den Nutzer seines Angebots hin, kann der Hostprovider verpflichtet sein, künftig derartige Störungen zu verhindern [BGH Urt. v. 9.8.2022 – VI ZR 1244/20 – Rn. 27; Urt. 27.2.2018 – VI ZR 489/16 – Rn. 33; v. 1.3.2016 – VI ZR 34/15 – Rn. 23; v. 25.10.2011 – VI ZR 93/10 – Rn. 24]. Ist der Provider mit der Beanstandung eines Betroffenen – die richtig oder falsch sein kann – konfrontiert, die so konkret gefasst ist, dass der Rechtsverstoß auf der Grundlage der Behauptung des Betroffenen unschwer – das heißt ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung – bejaht werden kann, ist eine Ermittlung und Bewertung des gesamten Sachverhalts unter Berücksichtigung einer etwaigen Stellungnahme des für den beanstandeten Beitrag Verantwortlichen erforderlich [BGH Urt. v. 25.10.2011 aaO. Rn. 25 f]. Dies gilt auch dann, wenn die beanstandete Äußerung nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Werturteil zu qualifizieren ist, das Werturteil vom Betroffenen aber mit der schlüssigen Behauptung als rechtswidrig beanstandet wird, der tatsächliche Bestandteil der Äußerung, auf dem die Wertung aufbaue, sei unrichtig, dem Werturteil fehle damit jegliche Tatsachengrundlage [BGH Urt. v. 9.8.2022 aaO. – Rn. 29; Urt. v. 1.3.2016 aaO. – Rn. 24]. Zu welchen konkreten Überprüfungsmaßnahmen der Hostprovider verpflichtet ist, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls. Maßgebliche Bedeutung kommt dabei dem Gewicht der angezeigten Rechtsverletzung sowie den Erkenntnismöglichkeiten des Providers zu. Zu berücksichtigen sind aber auch Funktion und Aufgabenstellung des vom Provider betriebenen Dienstes sowie die Eigenverantwortung des für die persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigende Aussage unmittelbar verantwortlichen – ggf. zulässigerweise anonym oder unter einem Pseudonym auftretenden – Nutzers [BGH Urt. v. 9.8.2022 aaO. – Rn. 30 mwN].Soweit nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs keine „offensichtliche Rechtsverletzung“ mehr erforderlich ist, hat der Bundesgerichtshof dies lediglich für die Haftung von Suchmaschinenbetreiber nach Art. 17 DSGVO angenommen [Urt. v. 7.7.2020 – VI ZR 405/18]. Dieser Maßstab gilt nicht für Hostprovider…“

Im Streitfall mangelte es an der Erfüllung der Voraussetzungen eines konkreten Hinweises. Auch die Einhaltung von formellen Vorgaben der Plattformen ersetzen eine darüber hinausgehende Pflicht für den konkreten Hinweis nicht. Dazu das Gericht in den Entscheidungsgründen unter anderem wie folgt:

„…Die Prozessbevollmächtigten des Klägers vermögen auch nicht mit ihrem Hinweis durchzudringen, dass sich das Anwaltsschreiben an dem seinerzeit von der Beklagten auf ihrer Website bereitgestellten Formular zur Meldung von (rechtswidrigen) Inhalten durch ihre Nutzer orientierte, welches bestimmte Vorgaben vorsah, aber kein Textfeld für weitere konkretisierende individuelle Angaben oder die Angabe von Gründen für die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Beiträge, wie sie etwa von der höchstrichterlichen Rechtsprechung verlangt werden. Ebenso wenig trägt die Argumentation des Klägers, dass eine Meldung über das eigene Meldeformular der Beklagten nicht ihre Störerhaftung zu begründen vermöchte. Insoweit steht der Berufung der Beklagten auf die nicht ausreichende Meldung dem Gesichtspunkt der Treuwidrigkeit bzw. widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) nicht entgegen.

Zum einen war das von der Beklagten bereitgestellte Meldeformular den verbindlichen Vorgaben nach dem NetzDG geschuldet, welches Anbieter großer sozialer Netzwerke verpflichtete, Nutzern ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über (offensichtlich) strafbare Inhalte anzubieten. Dieses bezweckte damit in erster Linie eine Selbstkontrolle nach dem NetzDG bezüglich strafbarer Inhalte, hatte mithin eine andere Zielsetzung als die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen einer Störerhaftung des Hostproviders auf Löschung und Unterlassung ihm mitgeteilter (offensichtlich) rechtswidriger, nicht notwendig strafbarer Inhalte. Vor diesem Hintergrund vermag der Senat entgegen dem Kläger auch keine Täuschung seitens der Beklagten zu erkennen, wenn sie öffentlich kommunizierte, nach der Meldung die beanstandeten Beiträge hinsichtlich eines Verstoßes gegen ihre Regeln und Richtlinien und hinsichtlich eines Verstoßes gegen deutsches Recht zu prüfen. Eine Eingrenzung der Grundsätze für den Überprüfungsaufwand des Hostproviders war hiermit erkennbar nicht verbunden.

Zum anderen bot das Formular in Spalte 3 („Inhalt“) die Möglichkeit, nähere tatsächliche Angaben zu machen. Zumindest wären solche mit einem Anhang möglich gewesen, wie ihn der Kläger hier auch für einige Meldungen (Hinweis auf bestimmte URL) vorgenommen hat…“