BGH: Angebot von Aminosäureprodukte in Kapselform in Fertigpackungen nach Gewicht löst Grundpreisangabenpflicht aus
So das Gericht in dem Versäumnisurteil vom 23. März 2023 (Az.: I ZR 17/22) im Rahmen des Revisionsverfahrens rund um eine entsprechende Abmahnung. Das Gericht sieht dabei grundsätzlich die Pflicht der Angabe des Grundpreises und begründet unter anderem wie folgt in den Entscheidungsgründen:
„…Bei dem streitgegenständlichen Aminosäureprodukt handelt es sich um ein Nahrungsergänzungsmittel und damit gemäß § 1 Abs. 1 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV) um ein Lebensmittel, das als solches nur unter der Angabe der Füllmenge nach Gewicht angeboten werden darf. Die vom Berufungsgericht insoweit für anwendbar gehaltenen Kennzeichnungsvorschriften der §§ 6 und 7 Fertigpackungsverordnung sind allerdings mit dem Geltungsbeginn der LMIV am 13. Dezember 2014 von der in ihrem Anwendungsbereich dem nationalen Recht vorgehenden Regelung in Art. 9 Abs. 1 Buchst. e und Art. 23 LMIV verdrängt worden (BGH, GRUR 2019, 641 [juris Rn. 21] – Kaffeekapseln). Die Verpflichtung zur Angabe der Nettofüllmenge eines Lebensmittels ergibt sich da- her aus Art. 9 Abs. 1 Buchst. e LMIV…
Das Berufungsgericht hat in der fehlenden Grundpreisangabe zu Recht ein Vorenthalten wesentlicher Informationen im Sinne von § 5a Abs. 4 UWG aF gesehen. Nach Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG, deren Umsetzung § 5a Abs. 4 UWG aF dient, gelten die im Unionsrecht festgelegten Informationsanforderungen in Bezug auf kommerzielle Kommunikation einschließlich Werbung oder Marketing, auf die in der nicht erschöpfenden Liste des Anhangs II verwiesen wird, als wesentlich. In der Liste des Anhangs II wird zwar lediglich die Pflicht zur Angabe des Grundpreises bei der Werbung unter Angabe von Preisen (Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 98/6/EG, § 2 Abs. 1 Satz 2 PAngV aF), nicht aber die- hier in Rede stehende – Pflicht zur Angabe des Grundpreises beim Angebot von Waren (Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/6/EG, § 2 Abs. 1 Satz 1 PAngV aF) genannt. Dennoch gilt nach Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG nicht nur die Pflicht zur Angabe des Grundpreises bei der Werbung unter Angabe von Preisen, sondern auch die Pflicht zur Angabe des Grundpreises beim Angebot von Waren als wesentlich. Auch bei dieser Pflicht handelt es sich um eine im Unionsrecht festgelegte Informationsanforderung in Bezug auf kommerzielle Kommunikation. Da die Liste des Anhangs II nicht erschöpfend ist, steht einer Einstufung dieser Pflicht als wesentlich nicht entgegen, dass sie in dieser Liste nicht ausdrücklich genannt ist (BGH, GRUR 2019, 641 [juris Rn. 32] – Kaffeekapseln).
(4) Das Vorenthalten dieser wesentlichen Information war auch erheblich im Sinne des § 5a Abs. 2 UWG aF.
(a) Die Voraussetzungen des in § 5a Abs. 2 UWG aF geregelten Unlauterkeitstatbestands, dass der Verbraucher die ihm vorenthaltene wesentliche Information „je nach den Umständen benötigt, um eine informierte Entscheidung zu treffen“ und „deren Vorenthalten geeignet ist, den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte“, stellen nach § 5a Abs. 2 Nr. 1 und 2 UWG aF zusätzliche Tatbestandsmerkmale dar, die selbständig zu prüfen sind. Jedoch trifft den Unternehmer, der geltend macht, dass – abweichend vom Regelfall – der Verbraucher eine ihm vor- enthaltene wesentliche Information für eine Kaufentscheidung nicht benötigt und das Vorenthalten dieser Information den Verbraucher nicht zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen kann, insoweit eine sekundäre Darlegungslast (vgl. BGH, Urteil vom 15. April 2021 – I ZR 134/20, GRUR 2021, 979 [juris Rn. 26] = WRP 2021, 895 – Testsiegel auf Produktabbildung; BGHZ 233, 193 [juris Rn. 51] – Knuspermüsli II, jeweils mwN; zu § 3a UWG vgl. BGH, GRUR 2021, 84 [juris Rn. 35] – Verfügbare Telefonnummer, mwN).
(b) Das Berufungsgericht hat ausgehend von diesen Grundsätzen gemeint, anhand des Grundpreises könne der Verbraucher das Preis-Mengen-Verhältnis erkennen und ohne Schwierigkeiten einen Preisvergleich vornehmen. Dem Vortrag des Beklagten, wonach der Grundpreis für Verbraucher irrelevant sei, könne nicht gefolgt werden. Der Preis eines Produkts sei ein wesentliches Kriterium, das die Kaufentscheidung beeinflussen und den Verbraucher zu einer anderen Kaufentscheidung veranlassen könne. Ein einfacher Preisvergleich könne sowohl hinsichtlich der beworbenen Aminosäurekapseln selbst erfolgen, soweit diese von verschiedenen Anbietern in unterschiedlichen Packungsgrößen zu unterschiedlichen Gesamtpreisen angeboten würden, als auch in Bezug auf Aminosäurekapseln anderer Anbieter. Gleiches gelte bezüglich Aminosäureprodukten, die in anderen Darreichungs- oder Verpackungsformen angeboten würden. Dass Aminosäureprodukte unterschiedliche Aminosäureprofile aufwiesen und zu unterschiedlichen Zwecken eingenommen würden, rechtfertige nicht den Schluss, dass sie überhaupt nicht miteinander vergleichbar seien. Die Angabe eines Stückpreises pro Kapsel sei nicht geeignet, dem Verbraucher einen umfassenden und einfachen Preisvergleich, insbesondere auch mit Aminosäureprodukten in Pulverform, zu ermöglichen. Dass die Füllmenge des Nahrungsergänzungsmittels nicht mit dem Wirkstoff korreliere und die Wirkstoffkonzentration für den Verbraucher von besonderem Interesse sei, stehe der vertretenen Ansicht nicht entgegen. Die gewichtsbezogene Grundpreisangabe sei auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil Verbraucher anhand der Verzehrempfehlung nachvoll- ziehen könnten, für wie viele Tage eine Packung ausreiche. Diese auf tatgerichtlichem Gebiet liegende Bewertung des Berufungsgerichts ist nicht zu beanstanden…“