OLG Hamm: 200 EUR Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO wegen Scraping von personenbezogenen Daten aus sozialem Netzwerk wegen Kontrollverlust bzgl. Mobilfunknummer

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So unter anderem das Gericht in seinem Urteil vom 20. Dezember 2024 (Az.: 11 U 44/24). Das Gericht wendet dabei die Rechtsprechung des BGH und führt in den Entscheidungsgründen dazu unter anderem aus:

„…Ein angemessener Anspruch auf Ersatz des festgestellten immateriellen Schadens nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO beläuft sich unter Abwägung aller Umstände des vorliegenden Einzelfalls auf 200,00 Euro. Dieser Betrag ist zum Ausgleich eines etwaigen Schadens erforderlich, aber auch ausreichend und entspricht der Billigkeit (vgl. § 253 Abs. 2 BGB).

Bei der – grundsätzlich nach nationalem Recht vorzunehmenden – Bemessung der Höhe des Schadensersatzes sind im Rahmen der Billigkeit alle dafür relevanten Umstände des Einzelfalls – insbesondere Art, Intensität und Dauer der erlittenen Rechtsverletzung (vgl. MüKoBGB/Oetker, 9. Aufl. 2022, BGB § 253, Rn. 36) – in eine Gesamtbetrachtung (vgl. BGH, Urteil vom 22. März 2022 – VI ZR 16/21 -, NJW 2022, 1957 Rn. 8) unter Berücksichtigung der Funktion des Art. 82 Abs. 1 DSGVO einzubeziehen und gegeneinander abzuwägen.

Dabei hat der Senat der Bemessung des Schadens insbesondere die im Urteil des Bundesgerichtshofes vom 18.11.2024 – VI ZR 10/24, juris Rn. 92-101 – aufgezeigten Kriterien zugrunde gelegt. Zu ihnen gehört neben den unionsrechtlichen Einschränkungen, die aus dem Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz und daraus folgen, dass die Entschädigung einen Ausgleich bewirken soll, aber keine Abschreckungs- oder Straffunktion hat (vgl. BGH Urt. v. 18.11.2024 – VI ZR 10/24, juris Rn. 95, 96), der Gesichtspunkt, dass die Höhe der Entschädigung zwar nicht hinter dem vollständigen Ausgleich des Schadens zurückbleiben soll, sie aber auch nicht in einer Höhe bemessen werden darf, die über den vollständigen Ersatz des Schadens hinausgeht. Ist der Schaden gering, ist daher auch ein Schadensersatz in nur geringer Höhe zuzusprechen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der durch eine Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten verursachte immaterielle Schaden seiner Natur nach nicht weniger schwerwiegend ist als eine Körperverletzung (BGH Urt. v. 18.11.2024 – VI ZR 10/24, juris Rn. 97). In Bezug auf die Untergrenze und auch  auf die Obergrenze des nach Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu gewährenden Schadensersatzes bestehen somit Vorgaben, die das Schätzungsermessen des Tatgerichts (§ 287 ZPO) rechtlich begrenzen (BGH Urt. v. 18.11.2024 – VI ZR 10/24, juris Rn. 98).

Ist nach den Feststellungen ein Schaden in Form eines Kontrollverlusts an personenbezogenen Daten gegeben, sind bei der Schätzung des Schadens insbesondere die etwaige Sensibilität der konkret betroffenen personenbezogenen Daten und deren typischerweise zweckgemäße Verwendung zu berücksichtigen. Weiter sind die Art des Kontrollverlusts (begrenzter/unbegrenzter Empfängerkreis), die Dauer des Kontrollverlusts und die Möglichkeit der Wiedererlangung der Kontrolle etwa durch Entfernung einer Veröffentlichung aus dem Internet (inkl. Archiven) oder Änderung des personenbezogenen Datums (z.B. Rufnummernwechsel; neue Kreditkartennummer) in den Blick zu nehmen. Macht der Betroffene psychische Beeinträchtigungen geltend, die über die mit dem eingetretenen Kontrollverlust für jedermann unmittelbar zusammenhängenden Unannehmlichkeiten hinausgehen, ist auch dies zu berücksichtigen. Der Tatrichter ist ggfls. gehalten, den Betroffenen anzuhören, um die notwendigen Feststellungen hierzu treffen zu können (vgl. BGH Urt. v. 18.11.2024 – VI ZR 10/24, juris Rn. 99, 101). Aus Sicht des Bundesgerichtshofes kann der notwendige Ausgleich (allein) für den eingetretenen Kontrollverlust in einem Fall wie dem streitgegenständlichen in einer Größenordnung von 100,00 € zu bemessen sein, im Fall zudem eingetretener psychischer Beeinträchtigungen wäre ein Betrag als Ausgleich festzusetzen, der über dem im Falle eines bloßen Kontrollverlustes zuzusprechenden Betrag liegt (vgl. BGH Urt. v. 18.11.2024 – VI ZR 10/24, juris Rn. 100, 101).

Vor diesem Hintergrund ist im vorliegenden Fall in die zur Bemessung des Schadensersatzes vorzunehmende Abwägung einzustellen, dass dem Kläger ein immaterieller Schaden entstanden ist, der in einem Kontrollverlust besteht und der Kläger zudem durch seine Sorge, Unsicherheit in Bezug auf den Umgang mit den gescrapten Daten, insbesondere auch seiner Mobilfunknummer psychisch belastet ist. Zudem wird er mit Spam-Anrufen und Spam-SMS konfrontiert, deren Bewältigung ihn belasten, auch wenn er aufgrund seiner Vorkenntnisse, u.a. im IT-Bereich, Schäden vermeiden und Missbrauchsgefahren begegnen kann. Zu berücksichtigen ist zudem, dass der Kontrollverlust sich auf nicht sonderlich sensible Daten aus der Sozialsphäre des Klägers beschränkt. Der Name des Klägers als solcher ist auch – unter anderem bei U. und C. – anderweitig im Internet auffindbar. Selbst wenn dies für die Telefonnummer nach den Bekundungen des Klägers nicht gilt, so ist die Telefonnummer doch auf Kommunikation mit anderen angelegt, wie ihre vom Kläger eingeräumte Verwendung für den Messenger-Dienst V. belegt. Gelangt sie in die Hand von Dritten, die nach dem Willen des Klägers nicht in ihren Besitz gelangen sollen, wiegt dies entsprechend nicht so schwer wie der Kontrollverlust über Daten, die von vornherein auf Geheimhaltung – wie etwa Arztdaten – angelegt sind. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die in Rede stehenden Daten des Klägers auf einer insgesamt ca. 533 Millionen Datensätze umfassenden Liste im Darknet veröffentlicht worden sind, was einen Missbrauch durch Kriminelle wahrscheinlicher als bei zusammenhangloser Erwähnung auf einer Homepage im Internet erscheinen lässt – wobei das persönliche Risiko, für einen Missbrauchsversuch ausgewählt zu werden, wiederum durch die Vielzahl der Datensätze relativiert wird. Allerdings bedeutet die Veröffentlichung im Darknet auch, dass die Dauer des im April 2021 eingetretenen Kontrollverlustes nicht absehbar ist und kaum Chancen bestehen, die Kontrolle zurückzugewinnen, wenn man von der Möglichkeit des Rufnummernwechsels absieht, die der Kläger wegen des damit für ihn verbundenen Aufwandes allerdings nicht beabsichtigt.

Aus den vorstehenden Gründen erscheint es aus Sicht des Senats erforderlich, aber auch ausreichend und angemessen, den dem Kläger entstandenen immateriellen Schaden mit einer Entschädigung in Höhe von 200,00 € auszugleichen…“