Datenschutzrecht

OLG Stuttgart: kein Anspruch auf Schadensersatz nach Art. 82 DSGVO bei bloßem Kontrollverlust aufgrund von Scraping von personenbezogenen Daten in Sozialem Netzwerk

So das Gericht in seinem Urteil vom 22. November 2023 (Az.: 4 U 20/23). Dabei stellt das Gericht in einer umfangreichen Begründung die Anspruchsvoraussetzungen dar. Es führt dabei zur Verneinung eines Schadensersatzanspruches wegen eines Kontrollverlustes über personenbezogene  Daten unter anderem aus:

„…Ein bloß abstrakter Kontrollverlust genügt danach nicht. Das OLG Hamm hat in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hingewiesen, dass mit der Realisierung der generellen Risiken im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten zwangsläufig ein Kontrollverlust verbunden ist, weil dieser bei jedem Verstoß in der Form einer Offenlegung oder Zugänglichmachung von Daten eintritt, weshalb eine tatsächliche materielle oder immaterielle Beeinträchtigung festzustellen ist (OLG Hamm GRUR-RS 2023, 22505 Rn. 143 – 144; weitergehend Bergt in Kühling/Buchner, DSGVO, 3. Aufl. 2020, § 82 Rn. 18b; Korch NJW 2021, 978 [980]). Auch wenn keine Erheblichkeitsschwelle gilt (dazu nachfolgend b.), muss eine über das allgemeine Lebensrisiko, alltägliche Lästigkeiten, ausgelöste negative Gefühle wie Ärger, subjektiv empfundene Unannehmlichkeiten, unspezifische Unlustgefühle, Sorgen und Ängste hinausgehende spürbare Beeinträchtigung vorliegen, muss ein tatsächlich entstandener immaterieller Nachteil festgestellt werden (vergleiche zum Streitstand Aliprandi, Datenschutzrechtlicher Schadensersatz nach Art. 82 DSG-VO, 2023, Seite 313 – 316). Dem entspricht, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ein zu ersetzender Schaden tatsächlich und sicher entstanden sein muss (EuGH GRUR 2023, 713 Rn. 38, 46, 49; EuGH BeckRS 2018, 31923 Rn. 86; EuGH Urteil vom 04.04.2017 – C-337/15 Rn. 91; OLG Hamm GRUR-RS 2023, 22505 Rn. 140 m.w.N.).

Mit Blick auf die subjektiven Folgen eines Datenschutzverstoßes im Einzelfall ist es deshalb ausreichend, aber auch erforderlich, dass der Betroffene Umstände darlegt, in denen sich seine erlebten Empfindungen widerspiegeln, und dass nach der Lebenserfahrung der Datenschutzverstoß mit seinen Folgen Einfluss auf das subjektive Empfinden hat (BGH NJW 1995, 2361; juris Rn. 17; zur Notwendigkeit konkreten Vortrags zum Beleg für innere Unruhe und Unbehagen; siehe auch EuG BeckRS 2017, 102499 Rn. 119, bestätigt durch EuGH BeckRS 2018, 31923 Rn. 111). Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 26.09.2023 (VI ZR 97/22 Rn. 33) dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob derartige negative Gefühle, wie z.B. auch Ärger, Unmut, Unzufriedenheit, Sorge und Ängste vor weiteren Verstößen, Sorge vor einer Rufschädigung, die an sich Teil des allgemeinen Lebensrisikos und oft des täglichen Erlebens sind, bereits einen immateriellen Schaden im Sinne der Norm darstellen…“

Im konkreten Fall hatte das Gericht für den geltend gemachten Anspruch den Vortrag des Klägers und das Ergebnis von dessen persönlicher Anhörung zu bewerten. Beide Punkte lassen für das Berufungsgericht keinen Zuspruch eines Schadenersatzes zu. Hinsichtlich der Anhörung des Klägers führt das Gericht in der Urteilsbegründung unter anderem aus:

„…Selbst wenn man außer Betracht lässt, dass die Angaben bezüglich der Anrufe widersprüchlich und nicht stringent waren, lässt sich damit nicht feststellen, dass der Kläger tatsächlich spürbare immaterielle Beeinträchtigungen erlitten hat.

Der Kläger war im Rahmen seiner Anhörungen nicht in der Lage, tatsächliche und echte immaterielle Beeinträchtigungen zu schildern, etwa Angstgefühle, seelisches Leid, seelische Auswirkungen, psychische Beeinträchtigungen oder auch nur ein irgendwie geartetes Unwohlsein infolge der Belästigungen oder eine andere, irgendwie spürbare seelische Beeinträchtigung. Die Angaben des Klägers blieben mit Ausnahme der Schilderungen des objektiven Sachverhalts bezüglich der SMS insgesamt oberflächlich und inhaltsleer, weshalb Zweifel bleiben, ob der Kläger tatsächlich eine spürbare immaterielle Beeinträchtigung erlitten hat. Insoweit hat der Kläger auch persönlich keinen ausreichenden Vortrag zur konkreten immateriellen Beeinträchtigung gehalten, nicht ausreichend vorgetragen, wann, wie häufig und auf welchem Weg er konkret von Missbrauchsversuchen betroffen war und wie er darauf jeweils reagiert hat oder wie er unabhängig von diesen Versuchen allein durch die Veröffentlichung des Datensatzes und die folgenden SMS und Anrufe betroffen und beeinträchtigt war. Schon das Urteil erster Instanz hat hierzu festgehalten, dass eine spürbare Beeinträchtigung nicht nachzuvollziehen sei.

Der Kläger hat nach seinen Angaben die SMS lediglich als lästig empfunden. Er hat insoweit bloße Lästigkeiten und Unannehmlichkeiten geschildert, die als solche gerade noch keine immaterielle Beeinträchtigung begründen, sondern Teil des täglichen positiven und negativen Erlebens sind. Solche bloßen Lästigkeiten stellen keine Beeinträchtigungen dar, die eine Überzeugungsbildung dahingehend erlauben, dass tatsächlich eine spürbare immaterielle Beeinträchtigung erlitten und eingetreten ist. Auch wenn nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs eine Erheblichkeits- oder Bagatellschwelle nicht angenommen werden darf, genügen die klägerseits geschilderten Gefühle nicht zur Bejahung einer immateriellen Beeinträchtigung. Es handelt sich um (negative) Gefühle, die – wie früher unerwünschte Werbepost – Teil des allgemeinen Lebensrisikos und des täglichen Erlebens sind, die aber noch keine Beeinträchtigung des Seelenlebens oder der Lebensqualität darstellen, die einen immateriellen Schaden im Sinne des Art. 82 DSGVO begründen können (vergleiche dazu auch BGH, Beschluss vom 26.09.2023, VI ZR 97/22 Rn. 33).

Da der bloße Kontrollverlust nicht genügt (s.o.), kann eine spürbare immaterielle Beeinträchtigung nicht festgestellt werden…“

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