Ordnungsgeld aus einstweiliger Verfügung & Hauptsacheklage verstößt nicht gegen außerstrafrechtliches Doppelahndungsverbot – So der BGH in einem Beschluss vom 21. April 2022 (Az.: I ZB 56/21) in einem Verfahren, in dem auf Basis einer ergangenen einstweiligen Verfügung durch die Gläubigerin ein Verstoß gegen diese Verfügung geltend gemacht wurde, da nach Ergehen der Verfügung Produkte nicht zurückgerufen worden waren. Nach Hauptsacheurteil und damit erfolgter Verurteilung wurde ebenfalls ein Ordnungsgeld wegen der Verwendung von zu unterlassenden Werbeaussagen in Onlineshops beantragt.
Das zuständige Beschwerdegericht hatte die Verhängung eines Ordnungsgeldes im Wege der Beschwerde gegen die Entscheidung des zuständigen Landgerichts wegen eines Verstoßes gegen das Unterlassungsverbot aus der einstweiligen Verfügung mit der Begründung aufgehoben, dass bereits eine Bestrafung durch das verhangene Ordnungsgeld wegen des Verstoßes gegen das Hauptsacheurteil erfolgt sein. Gegen diese Begründung der Entscheidung wendete sich die Gläubigerin erfolgreich vor dem BGH mit der Rechtsbeschwerde.
Ordnungsgeld aus einstweiliger Verfügung & Hauptsacheklage verstößt nicht gegen außerstrafrechtliches Doppelahndungsverbot – Ansicht des Gerichts
Der BGH führt in den Entscheidungsgründen unter anderem aus:
„…Im Streitfall verstößt die Verhängung eines Ordnungsmittels auf der Grundlage der einstweiligen Verfügung danach nicht gegen das rechtsstaatliche Doppelahndungsverbot.
aa) Gegen eine Identität des Gegenstands der Ordnungsmittelfestsetzung auf der Grundlage von Hauptsachetitel einerseits und einstweiliger Verfügung andererseits spricht zunächst der jeweils unterschiedliche Pflichteninhalt.
(1) Bei einer Handlung, die einen fortdauernden Störungszustand geschaffen hat, ist der die Handlung verbietende Unterlassungstitel mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen, dass er außer zur Unterlassung derartiger Handlungen auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichtet. Eine Unterlassungsverpflichtung erschöpft sich insbesondere dann nicht in einem bloßen Nichtstun, sondern umfasst auch die Pflicht zur Vornahme von Handlungen zur Beseitigung eines zuvor geschaffenen Störungszustands, wenn dem Unterlassungsgebot allein dadurch entsprochen werden kann. Sind rechtsverletzend gekennzeichnete oder aufgemachte Produkte bereits weiter vertrieben worden, beinhaltet die Unterlassungspflicht neben der Einstellung des weiteren Vertriebs regelmäßig auch den Rückruf der bereits gelieferten Produkte (BGH, GRUR 2018, 292 [juris Rn. 19 f.] mwN). Bei der Vollziehung einer einstweiligen Verfügung gelten im Unterschied zur Vollstreckung eines Titels aus einem Hauptsacheverfahren allerdings Beschränkungen, die sich aus der Eigenart des Verfügungsverfahrens und aus den engen Voraussetzungen für die Vorwegnahme der Hauptsache sowie aus den im Verfügungsverfahren eingeschränkten Verteidigungsmöglichkeiten des Antragsgegners ergeben (BGH, GRUR 2018, 292 [juris Rn. 17]; BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2019 – I ZB 19/19, GRUR 2020, 548 [juris Rn. 15] = WRP 2020, 324). Die Annahme einer Verpflichtung zum Rückruf, die einer Vorwegnahme der Hauptsache gleichkäme, kommt im Falle eines Schuldners, der rechtsverletzend gekennzeichnete oder aufgemachte Ware vor Erlass und Zustellung einer Unterlassungsverfügung vertrieben hat, regelmäßig nicht in Betracht, weil es an der für die Zulässigkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache im Eilverfahren nötigen besonderen Dringlichkeit und einem deutlichen Überwiegen der Gläubigerinteressen an der sofortigen Anspruchsdurchsetzung in dieser Konstellation typischerweise fehlt (BGH, GRUR 2018, 292 [juris Rn. 35 f.]). Hingegen kann dem Schuldner, gegen den eine einstweilige Unterlassungsverfügung ergangen ist, regelmäßig abverlangt werden, seine Abnehmer aufzufordern, die erhaltenen Waren im Hinblick auf die einstweilige Verfügung vorläufig nicht weiterzuvertreiben, weil ein solches Verlangen lediglich der Sicherung des Unterlassungsanspruchs dient, ohne die Hauptsache vorwegzunehmen (BGH, GRUR 2018, 292 [juris Rn. 37 bis 39]; GRUR 2020, 548 [juris Rn. 19]).
(2) Auch im Streitfall haben einstweilige Verfügung einerseits und Hauptsachetitel andererseits einen unterschiedlichen Pflichteninhalt, der der Annahme einer Identität der auf diese Titel gestützten Vollstreckungsmaßnahmen entgegensteht. Aufgrund der einstweiligen Verfügung war die Schuldnerin nach den vorstehenden Grundsätzen zwar nicht zum Rückruf der mit rechtsverletzenden Etiketten versehenen Produkte verpflichtet, weil Anhaltspunkte für das Bestehen einer besonderen Dringlichkeit und ein Überwiegen der Gläubigerinteressen an der sofortigen Anspruchsdurchsetzung nicht festgestellt sind. Jedoch oblag ihr die Pflicht, ihre Abnehmer dazu aufzufordern, die erhaltenen Waren vorläufig nicht weiterzuvertreiben. Nach dem im Hauptsacheverfahren ergangenen Titel traf die Schuldnerin sodann die weitergehende Pflicht zum Rückruf der Produkte.
bb) Gegen die Annahme einer Identität der Vollstreckungsmaßnahmen spricht weiter, dass Hauptsachetitel und einstweilige Verfügung als Vollstreckungsgrundlage auch einen unterschiedlichen zeitlichen Anwendungsbereich haben.
(1) Nach § 890 ZPO können Ordnungsmittel verhängt werden, wenn vor der zu ahndenden Zuwiderhandlung die Ordnungsmittelandrohung nach § 890 Abs. 2 ZPO erfolgt und die unbedingte Vollstreckbarkeit des jeweiligen Vollstreckungstitels eingetreten, dieser mithin als Vollstreckungstitel wirksam geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 – I ZB 115/07, BGHZ 180, 72 [juris Rn. 12]).
Eine im Wege des Beschlusses ergangene, mit Ordnungsmittelandrohung nach § 890 Abs. 2 ZPO versehene einstweilige Unterlassungsverfügung wird durch Vollziehung in Form der Zustellung an den Schuldner gemäß § 929 Abs. 2 ZPO als Vollstreckungstitel wirksam, so dass eine der Zustellung nachfolgende Zuwiderhandlung mit Ordnungsmitteln belegt werden kann (vgl. BGH, GRUR 2015, 196 [juris Rn. 17] – Nero; GRUR 2017, 318 [juris Rn. 13]). Eine durch Urteil erlassene, mit Ordnungsmittelandrohung versehene Verbotsverfügung ist mit der Verkündung des Urteils wirksam und kann Grundlage einer Ordnungsmittelfestsetzung sein (vgl. BGHZ 180, 72 [juris Rn. 11]; BGH, GRUR 2015, 196 [juris Rn. 22] – Nero).
Auf der Grundlage eines auf Unterlassung gerichteten, mit Ordnungsmittelandrohung nach § 890 Abs. 2 ZPO versehenen Hauptsachetitels können Ordnungsmittel verhängt werden, sofern das Urteil vor der Zuwiderhandlung unbedingt – wenn auch gegebenenfalls gemäß § 709 Satz 1 ZPO nur vorläufig und nach Sicherheitsleistung des Gläubigers sowie Unterrichtung des Schuldners hiervon (§ 751 Abs. 2 ZPO) – vollstreckbar geworden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 10. April 2008 – I ZB 14/07, GRUR 2008, 1029 [juris Rn. 9] = WRP 2008,1898). Wird der auf Unterlassung gerichtete, mit einer einstweiligen Verfügung inhaltlich identische Hauptsachetitel rechtskräftig, so kann der Schuldner grundsätzlich wegen Fortfalls des Verfügungsgrunds die Aufhebung der einstweiligen Verfügung wegen veränderter Umstände nach § 927 Abs. 1 ZPO erreichen. Eine Aufhebung nach § 927 Abs. 1 ZPO kommt allerdings insoweit nicht in Betracht, als die einstweilige Verfügung als Vollstreckungsgrundlage für vor Eintritt der Vollstreckungsmöglichkeit aus dem Hauptsachetitel begangene Verstöße benötigt wird (vgl. OLG Hamm, OLGZ 1988, 321; OLG Düsseldorf, GRUR 1990, 547; Ahrens in Ahrens, Der Wettbewerbsprozess, 9. Aufl., Kap. 62 Rn. 28 f.; Teplitzky/Feddersen, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl., Kap. 56 Rn. 33). Die einstweilige Verfügung behält somit auch nach Erlass eines inhaltlich identischen Unterlassungstitels in der Hauptsache als Vollstreckungsgrundlage für Zuwiderhandlungen, die vor dem Eintritt der Vollstreckbarkeit des Hauptsachetitels begangen worden sind, eigenständige Bedeutung…“