VG Hannover: Ein Wettbürobetreiber darf während Öffnungszeiten Sitzbereich nicht mit Kamera-Monitor-System überwachen-> Rechtsgrundlage ergibt sich weder aus Art. 6 I lit. c) noch aus Art.6 I lit.f DSGVO

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Letzteres, so das Gericht in seinem Urteil vom 10.Oktober 2023 (Az.: 10 A 3472/20), auch aus dem Grund, dass menschliches Personal zur Überwachung von Kunden genutzt werden kann und diese Maßnahmen erforderlich ist im Gegensatz zur dauerhaften Videoüberwachung. Das Gericht hat über die Klage gegen einen Bescheid der zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörde zu entscheiden. Die Klage wurde abgewiesen.

Das Gericht vereinte unter anderem die Anwendung der Rechtsgrundlage des berechtigten Interesses nach Art. 6 lit.f. DSGVO mit folgender Begründung:

„…Die Videoüberwachung ist in ihrer derzeitigen Ausgestaltung zur Wahrung der Interessen der Klägerin aber nicht erforderlich. Die personenbezogenen Daten sollten für die Zwecke, zu denen sie verarbeitet werden, angemessen und erheblich sowie auf das für die Zwecke ihrer Verarbeitung notwendige Maß beschränkt sein; sie sollten nur verarbeitet werden dürfen, wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann (vgl. Erwägungsgrund 39 zur DS-GVO).Voraussetzung für die Erforderlichkeit der Videoüberwachung ist also, dass kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen (Buchner/Petri in: Kühling/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 147a). Die Einschränkungen beim Datenschutz müssen sich „auf das absolut Notwendige“ beschränken (vgl. EuGH, Urteil vom 11.12.2019 – C-708/18 -, juris Rn. 46). Eine bloße Zweckdienlichkeit der Datenverarbeitung reicht jedenfalls nicht aus und auch das Ansinnen einer „bestmöglichen Effizienz“ macht die Datenverarbeitung noch nicht zu einer erforderlichen. Entsprechend kann die Erforderlichkeit auch nicht allein damit begründet werden, dass es sich bei der beabsichtigten Datenverarbeitung um die aus Sicht des Verantwortlichen wirtschaftlich sinnvollste Alternative handelt (Petri in: Kühling/Buchner/Buchner, 3. Aufl. 2020, DS-GVO Art. 6 Rn. 147a m.w.N.).

Nach diesem Maßstab ist die Videoüberwachung der Sitzbereiche durch die Kameras 1,3, 4, 5 und 9 nicht erforderlich. Es ist derzeit nicht ersichtlich, dass die Erhebung der dadurch gewonnenen personenbezogenen Daten überhaupt geeignet – also erheblich – ist, um die von der Klägerin verfolgten Zwecke zu erreichen. Auf Grundlage der bisherigen Unterlagen ist nicht erkennbar, dass die von der Beklagten konkret benannten Straftaten überhaupt im Zusammenhang mit einem Aufenthalt von Gästen in den Sitzbereichen gestanden haben. Die Klägerin stützt sich im Wesentlichen auf befürchtete Straftaten und sonstiges Fehlverhalten, welches in der „Szene“ oder dem „Milieu“, aus dem die Gäste der Klägerin stammen, üblich sein soll. Die von der Klägerin benannten Straftaten lassen teilweise eindeutig erkennen, dass sich der oder die Täter(in) vor der jeweils begangenen Tat gerade nicht in den Sitzbereichen aufgehalten oder die Tat als solche dort stattgefunden hat; dies gilt für die Öffnung des Tresors, der sich in dem für die Öffentlichkeit nicht zugänglichen Bereich befindet, sowie für die Entwendung von Bargeld durch Beschäftigte der Klägerin, einen Überfall unter Einsatz von Waffengewalt, eingeschmissene Schaufensterscheiben und das unberechtigte Betreten der Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten. Die übrigen von der Klägerin genannten Taten und Vorkommnisse lassen nicht erkennen, ob diese in den für Gäste vorgesehenen Sitzbereichen stattgefunden haben; dies gilt für die Angabe „milieubedingte Kriminalität in den Geschäftsräumen, zum Beispiel Übergabe von Drogen gegen Bargeld“ und Trickbetrug durch das Erzwingen von Wechselgeldfehlern. Konkrete Vorfälle in der Nachbarschaft hat die Klägerin zwar behauptet, jedoch nicht substantiiert. Soweit sie sich auf die befürchtete Manipulation von Spielgeräten und die ihr glückspielrechtlich obliegende Verpflichtung, manipulierte Geräte unverzüglich aus dem Verkehr zu ziehen, beruft, hat sie derartige Vorfälle weder für die hier in Rede stehende noch für andere Filialen oder Einrichtungen in der Nachbarschaft vorgetragen. Es fehlen auch nähere Angaben dazu, wie „Vorbereitungshandlungen“ für eine Manipulation von Spielgeräten konkret aussehen und aus welchem Grund sie befürchtet, dass solche gerade in den Sitzbereichen für Gäste stattfinden könnten. Den Konsum von und Handel mit Rauschgift hat sie bislang nur behauptet, aber nicht belegt. Auch hinsichtlich der weiteren, im Laufe des gerichtlichen Verfahrens genannten Straftaten, die sich im Zeitraum vom 3. August 2016 und dem 9. Oktober 2021 in der hier streitgegenständlichen Filiale ereignet haben sollen, nämlich eine Unterschlagung von Bargeld, ein Diebstahl von Bargeld durch einen Kunden, ein Diebstahl eines Gegenstandes durch einen Kunden und zwei Raubüberfälle, ist nicht erkennbar, dass diese Straftaten im Zusammenhang mit einem Aufenthalt in den Sitzbereichen des Wettbüros standen.

Es ist außerdem nicht erkennbar, dass die Videoüberwachung der Sitzbereiche überhaupt dazu geeignet wäre, die von der Klägerin genannten Straftaten – sowohl die in der Unternehmensgruppe als auch die in der hier in Rede stehenden Filiale begangenen – zu verhindern oder bei der Aufklärung dieser Straftat einen nennenswerten Mehrwert zu bringen. Dies gilt insbesondere für die genannten Raubüberfälle, Einbrüche und Sachbeschädigungen, die – soweit ersichtlich – nicht von Personen begangen worden sind, die sich zuvor in dem Wettbüro aufgehalten haben. Auch diejenigen Straftaten, die von Beschäftigten der Klägerin begangen worden sind, wie zum Beispiel das unberechtigte Betreten der Geschäftsräume außerhalb der Öffnungszeiten, die Unterschlagung von Bargeld oder die Öffnung der Tresore und Entwendung von Bargeld, ließen sich nicht durch eine Überwachung der Sitzbereiche für Gäste verhindern. Einzig denkbar wäre dies bezüglich des genannten Trickbetruges durch das Erzwingen von Wechselgeldfehlern oder den Handel mit sowie Konsum von Rauschgift. Insoweit ist aber fraglich, ob die Beschäftigten in der Lage wären, die Monitore derart aufmerksam zu beobachten, dass ihnen Wechselgeldfehler oder der Konsum von Rauschmitteln überhaupt auffallen könnte.

Die Fortsetzung der Videoüberwachung in ihrer jetzigen Form ist auch nicht deswegen erforderlich, weil andernfalls unzumutbar hohe Betriebskosten entstünden. Bei dem Bestreben, Kosten einzusparen, handelt es sich grundsätzlich um ein berechtigtes Interesse. Allerdings muss der Verantwortliche darlegen, dass er diese Kosten auch durch andere Vorkehrungen, insbesondere durch organisatorische Veränderungen anstelle der Videoüberwachung nicht vermeiden oder in einer hinnehmbaren Größenordnung halten kann. Die Kostenersparnis kann die Erforderlichkeit der Videoüberwachung jedenfalls nur dann begründen, wenn die ansonsten entstehenden Kosten im Verhältnis zu dem Umfang der geschäftlichen Tätigkeit ins Gewicht fallen oder gar deren Wirtschaftlichkeit in Frage stellten (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.3.2019 – 6 C 2.18 -, juris Rn. 32). Die Klägerin hat dazu nicht substantiiert vorgetragen. Aus dem von ihr hierzu zitierten Urteil des OVG des Saarlandes vom 14. Dezember 2017 ergibt sich nicht, ob der dortige Kläger substantiierte Angaben dazu gemacht hat, aus welchem Grund ihm der Einsatz von Wachpersonal wirtschaftlich nicht zumutbar ist (Az. 2 A 662/17 -, juris Rn. 47). Zudem ist der dortige Fall auch schon deswegen nicht mit dem hier zu entscheidenden vergleichbar, weil es sich bei dem dortigen Kläger um eine Apotheke gehandelt hat, die – im Gegensatz zu der Klägerin – nicht ohnehin Wachpersonal beschäftigt.

Die Klägerin kann ihrem berechtigten Interesse daran, dass kein Rauschgift in ihrer Filiale gehandelt oder konsumiert wird oder andere Straftaten begangen werden, auch durch mildere und gleich effektive Mittel begegnen. Dem Beklagten dürfte darin zu folgen sein, dass die bereits vorhandenen Beschäftigten in regelmäßigen Abständen die Sitzbereiche begehen könnten. Der Auffassung der Klägerin, die Präsenz von Wachleuten werde von Gästen als deutlich gravierenderer Eingriff wahrgenommen, sodass darin kein milderes Mittel zu sehen sei, kann nicht gefolgt werden. Anders als in der von der Klägerin dazu angeführten Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts steht hier keine „permanente Beobachtung“ der Gäste durch Wachleute in Rede (vgl. Urteil vom 29.9.2014 – 11 LC 114/13 -, juris Rn. 57), sondern gelegentliche Rundgänge von ohnehin anwesendem Personal. Hinsichtlich der von der Klägerin bezweckten Abschreckungswirkung wirken auch nur gelegentlich die Räumlichkeit abschreitende Beschäftigte mindestens ebenso effektiv abschreckend wie die vorhandenen Kameras (vgl. VG Stuttgart, Urteil vom 12.3.2021 – 18 K 8202/19 -, n.v.). Ihre Beschäftigten können sich vor eventuell aggressiv auftretenden Gästen schützen, indem sie die Polizei kontaktieren, anstatt sie selbst anzusprechen oder des Hauses zu verweisen. Für die Beschäftigten dürfte der zeitliche und personelle Aufwand, die fünf streitigen Kameras neben ihren anderen Aufgaben dauerhaft aufmerksam zu beobachten, um die in den Sitzbereichen befürchteten Vorbereitungshandlungen für Straftaten zu entdecken, als ebenso hoch zu bewerten sein wie die Durchführung regelmäßiger Kontrollgänge durch die Sitzbereiche. Der Gefahr von durch Betrug erzwungenen Wechselgeldfehlern könnte die Klägerin begegnen, indem die Gäste ihre Getränke nur noch am Tresen bezahlen, der außerdem von der nicht mehr streitgegenständlichen Kamera 2 erfasst wird…“