Wettbewerbsrecht

OLG Nürnberg: Verlust der Dringlichkeitsvermutung nach § 12 I UWG durch vollständige Ausschöpfung von Frist zur Berufungseinlegung und-begründung nur in eng begrenzenten Ausnahmenfällen möglich

So z.B. einer tatsächlich & rechtlich äußerst einfachen Fallgestaltung oder anderen dringlichkeitsschädlichen Verhaltensweisen. Das Gericht tätigt in seinem Endurteil vom 24. Oktober 2023 (Az.: 3 U 965/23) in einem wettbewerbsrechtlichen einstweiligen Verfügungsverfahren mit grundsätzlichen Ausführungen, im Streitfall wurde ein solcher benannter Ausnahmefall nicht angenommen. Dennoch führt das Gericht in den Entscheidungsgründen unter anderem aus:

„…Zwar haben die gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen mit der Dringlichkeit an sich nichts zu tun (Teplitzky, WRP 2013, 1414 Rn. 10 ff.). Die Funktion der Rechtsmittelfristen ist es, in Zivilverfahren einen für beide Parteien verlässlichen zeitlichen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen ein Rechtsmittel zulässig ist. Diese Funktion wird vom Ergebnis der Dringlichkeitsprüfung nicht berührt, da das Rechtsmittel auch dann zulässig bleibt, wenn der Verfügungsgrund verneint wird.

Dennoch schließt sich der Senat der im Wettbewerbsrecht weit überwiegend vertretenen Auffassung an, wonach das volle Ausschöpfen der gesetzlichen Berufungseinlegungs- und -begründungsfristen in der Regel nicht dringlichkeitsschädlich ist (MüKoUWG/Schlingloff, 3. Aufl. 2022, UWG § 12 Rn. 89; Köhler/Feddersen, in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 41. Aufl. 2023, § 12 Rn. 2.16; OLG Bremen, GRUR-RR 2015, 345 – rent a rentner; OLG München, GRUR-RR 2016, 499 Rn. 77 – Verkaufsaktion für Brillenfassungen; OLG Hamburg, GRUR-RR 2018, 27 Rn. 36 – HSA FREI). Die Ausschöpfung der Berufungsbegründungsfrist ist den Berufungsführern gesetzlich zugestanden; im Hinblick auf die Länge dieser Fristen differenziert das Gesetz – was man rechtspolitisch kritisieren können mag – nicht zwischen Hauptsache- und Eilverfahren. Der Gesetzgeber gibt damit zu erkennen, dass er die Zeit von insgesamt 2 Monaten für ausreichend, aber auch erforderlich hält, um das Rechtsmittel in der gebotenen Weise zu begründen, was sich mittelbar auch auf die Frage der Dringlichkeitsschädlichkeit auswirkt. Solange die Partei nur die ihr gesetzlich eingeräumten Fristen wahrnimmt, dürfen aus dem damit in Zusammenhang stehenden (zulässigen) prozessualen Verhalten auch aus Rechtssicherheitsgründen grundsätzlich keine Rückschlüsse für die Frage gezogen werden, wie eilig es ihr damit ist, ihr Ziel im einstweiligen Rechtsschutz zu erreichen.

Entgegen der Argumentation des Vertreters der Verfügungsbeklagten in der mündlichen Verhandlung liegt darin auch kein Wertungswiderspruch zur Rechtsprechung des Senats, dass die Beantragung und Ausnutzung einer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist regelmäßig dringlichkeitsschädlich ist. Eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist setzt nach § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO besondere Umstände voraus, insbesondere das Fehlen einer Verzögerung oder erhebliche Gründe. Die Verlängerung stellt damit nach der Gesetzessystematik einen begründungsbedürftigen Ausnahmefall dar. Es gilt in diesem Fall daher nicht mehr die Wertung des Gesetzgebers, dass die in prozessualer Hinsicht zur Berufungsbegründung zur Verfügung stehende Frist auch im Hinblick auf die Dringlichkeit in der Regel als unbedenklich angesehen werden kann.

Lediglich in eng begrenzten Ausnahmefällen kann eine Selbstwiderlegung durch verzögertes Betreiben des Verfahrens auch bei der Einhaltung der Rechtsmittelfristen entfallen. Ein solcher Sonderfall kommt im Rahmen der Gesamtwürdigung allenfalls in Betracht, wenn zum einen eine tatsächlich und rechtlich äußerst einfache Fallgestaltung gegeben ist, bei der keinerlei weitere tatsächliche Ermittlungen anzustellen und keine weiteren Glaubhaftmachungsmittel zu beschaffen sind, und wenn zum anderen der Verfügungskläger auch durch sein sonstiges Verhalten zum Ausdruck bringt, dass ihm selbst die Sache nicht so eilig ist. Vorliegend handelt es sich weder um eine äußerst einfache Fallgestaltung, da das Landgericht die erlassene einstweilige Verfügung wegen des Nichteinhaltens der Vollziehungsfrist aufhob, noch sind weitere Aspekte dargetan oder ersichtlich, die demonstrieren würden, dass der Verfügungskläger das Verfahren in der Berufungsinstanz nicht mit der gebotenen Zügigkeit betreibt. Insbesondere musste sich die Verfügungsklägerin nach dem die Verfügung aufhebenden Ersturteil erstmals mit den tatsächlichen und rechtlichen Fragen im Zusammenhang mit der Wahrung der Vollziehungsfrist befassen…“

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