Datenschutzrecht

BAG: Überwachungsvideo trotz Bedenken aus Datenschutzsicht im Kündigungsschutzklageverfahren als Beweis verwertbar

Dies hat das Gericht mit Urteil vom 29. Juni 2023 (Az.: 2 AZR 296/22) nach einer Pressemitteilung entschieden. Im Streitfall wurde Bilder einer offen erkennbaren Videokamera verwendet. Da es sich um ein offen vorsätzliches Verhalten des Arbeitnehmers handelte, Verlassen des Arbeitsplatzes und Betriebsgeländes vor Arbeitsbeginn bei weiterhin „Vortäuschen“ der Anwesenheit, konnte eine Verwertung erfolgen. Der Link zu Pressemitteilung:https://www.bundesarbeitsgericht.de/presse/offene-videoueberwachung-verwertungsverbot-2/

UPDATE:

Aus der am 12. August 2023 veröffentlichten Urteilsbegründung des Gerichts lassen sich nunmehr im Detail die Gründe der vertretenen Rechtsansicht entnehmen. So führt das zu seiner grundsätzlichen Rechtsansicht in den Entscheidungsgründen aus:

„…(b) Ein auf Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gestütztes Verwertungsverbot scheidet – selbst unter Berücksichtigung der vom Senat zugunsten des betroffenen Arbeitnehmers unterstellten Vorgaben aus Art. 17 Abs. 3 Buchst. e DSGVO – regelmäßig in Bezug auf solche Bildsequenzen aus einer offenen Videoüberwachung aus, die vorsätzlich begangene Pflichtverletzungen zulasten des Arbeitgebers zeigen (sollen), ohne dass es auf die Rechtmäßigkeit der gesamten Überwachungsmaßnahme ankäme.

(aa) Die Beeinträchtigung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung eines Arbeitnehmers durch eine offene Überwachungsmaßnahme wird zum einen durch die Verhaltenshemmung (psychischer Anpassungsdruck) und zum anderen durch die Verdinglichung des gleichwohl gezeigten Verhaltens samt der darin liegenden Gefahr der Verbreitung der Aufzeichnung bewirkt. Anders als bei einer verdeckten Überwachungsmaßnahme geht es bei einer für ihn erkennbaren Überwachung nicht um den Schutz vor einer (heimlichen) Ausspähung, sondern vielmehr „nur“ um Entfaltungs-, Dokumentations- und Verbreitungsschutz. Ein Verwertungsverbot kommt lediglich in Betracht, wenn und soweit der Arbeitnehmer bezogen auf diese Zwecke schutzwürdig ist. Hieran fehlt es, wenn der Arbeitgeber durch die vorhandenen Daten von einer vorsätzlich begangenen Pflichtverletzung Kenntnis erlangt und auf diese reagieren will. Der Arbeitnehmer wurde durch die vorangegangene Überwachung und Aufzeichnung seines Verhaltens nicht daran gehindert, selbstbestimmt zu handeln. Er hat sich vielmehr – trotz seiner Kenntnis von der Überwachung – für die Begehung einer Vorsatztat zulasten des Arbeitgebers entschieden. Zwar wurde dieses Verhalten dokumentiert und damit eine Verbreitung ermöglicht. Doch muss der Arbeitnehmer diese – von ihm angesichts der Offenheit der Überwachung erkennbare – Folge hinnehmen, soweit die betreffende Bildsequenz dazu verwendet wird, den „Tatbeweis“ in einem Kündigungsschutzprozess zu führen, also lediglich der Durchsetzung rechtlich geschützter Belange des Arbeitgebers dienen soll (vgl. EGMR 27. Mai 2014 – 10764/09 – [De la Flor Cabrera/Spanien]; Niemann JbArbR Bd. 55 S. 41, 60). Das grundgesetzlich verbürgte Recht auf informationelle Selbstbestimmung kann nicht zu dem alleinigen Zweck in Anspruch genommen werden, sich der Verantwortung für vorsätzlich rechtswidriges Handeln zu entziehen (vgl. BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 30, BAGE 163, 239; BGH 24. November 1981 – VI ZR 164/79 – zu II 2 b der Gründe). Datenschutz ist kein Tatenschutz.

(bb) Aspekte der Generalprävention könnten allenfalls dann zu einem Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers führen, wenn sich die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers als solche trotz ihrer offenen Durchführung als schwerwiegende Verletzung des durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Rechts darstellt (denkbar zB bei offener Überwachung von Toiletten oder Umkleideräumen oder offener Dauerüberwachung ohne Rückzugsmöglichkeit, vgl. BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 35, BAGE 163, 239). Das entspricht angesichts der zugunsten des Arbeitnehmers unterstellten Vorgaben in Art. 17 Abs. 3 Buchst. e DSGVO iVm. Art. 7 und Art. 8 GRC (Rn. 28) mit hinreichender Deutlichkeit dem Unionsrecht, was der Senat ohne ein darauf bezogenes Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 Abs. 3 AEUV entscheiden kann.

cc) Ein Verbot, inkriminierte Bildsequenzen aus einer offenen Videoüberwachung in Augenschein zu nehmen, besteht schließlich nicht deshalb, weil sie womöglich gar kein Verhalten des Arbeitnehmers zeigen, das eine vorsätzliche Verletzung der Rechtsgüter des Arbeitgebers darstellt oder doch auf eine solche hindeutet. Da Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 47 Abs. 2 GRC grds. gebieten, einem erheblichen Beweisantritt nachzugehen, darf eine Beweiserhebung nicht auf die bloße Möglichkeit ihrer Grundrechtswidrigkeit hin unterbleiben. Auch insofern bestehen für den betroffenen Arbeitnehmer ausreichende andere Schutzmechanismen. Ergibt die Inaugenscheinnahme „rein gar nichts“ iSd. Arbeitgebers, verliert dieser nicht nur den Prozess. Vielmehr kann in der weiteren Verarbeitung – eindeutig – irrelevanter Sequenzen und deren Einführung in einen Rechtsstreit eine schwerwiegende Persönlichkeitsrechtsverletzung liegen, für die er unter den Voraussetzungen von § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG eine Geldentschädigung (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 – Rn. 36, BAGE 163, 239) oder nach Art. 82 DSGVO immateriellen Schadenersatz schuldet (EuGH 4. Mai 2023 – C-300/21 – [Österreichische Post])…“

Das Berufungsgericht wird erneut zu dem Rechtsstreit und damit konkreten Fall entscheiden.

Cookie Consent mit Real Cookie Banner