Art. 72 Biozid-VO ist Marktverhaltensreglung nach § 3a UWG – So das OLG Zweibrücken in seinem Urteil vom 31. März 2022 (Az.: 4 U 201/21) in einem wettbewerbsrechtlichen Rechtsstreit zwischen einem Wettbewerbsverein und einem Unternehmen, dass im E-Commerce Waren verkaufte.
Streitig war, ob es wettbewerbswidrig war, den nach Art.72 I Biozid-VO erforderlichen Hinweis „Biozidprodukte vorsichtig verwenden. Vor Gebrauch stets Etikett und Produktinformationen lesen.“ nicht schon auf der Produktübersichtseite darzustellen, sondern erst auf der Produktdetailseite.
Art. 72 Biozid-VO ist Marktverhaltensreglung nach § 3a UWG – Im E-Commerce ist Produktübersichtsseite maßgeblich
Das Gericht ist der Ansicht, dass die Produktübersichtsseite als Werbung im Sinne der Biozid-Vo einzustufen sei und daher dort bereits der Hinweis vorhanden sein müsse. Das Gericht führt in den Entscheidungsgründen dazu aus:
„…Bei Art. 72 Biozid-Vo handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung, da die Regelung von Gesundheits- und Sicherheitsaspekten auch im Interesse der Verbraucher liegt (BGH, Urteil vom 06. Oktober 2011 – I ZR 117/10 –, Rn. 31, – DELAN, juris; speziell für Art.72 Biozid-VO: KG Berlin, Urteil vom 22. November 2016 – 5 U 89/15 –, Rn. 52, juris; LG Essen, Urteil vom 28. April 2021 – 44 O 42/20 –, Rn. 39, juris); LG Landau in der Pfalz, Urteil vom 20. Dezember 2017 – HK O 55/17 –, Rn. 12, juris; LG München I, Urteil vom 07. September 2020 – 4 HK O 9484/20 –, Rn. 52, juris)…
Entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts stellt sich die Warenpräsentation auf der Produktübersichtsseite der Beklagten als Werbung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 y) Biozid-VO dar. Danach bezeichnet der Ausdruck „Werbung“ für die Zwecke dieser Verordnung ein Mittel zur Förderung des Verkaufs oder der Verwendung von Biozid-Produkten durch gedruckte, elektronische oder andere Medien. Unter den Begriff „Werbung“ sind sonach sämtliche Formen der Online-Veröffentlichung von Biozid-Produkten einzuordnen, wenn durch die Darstellung deren Absatz gefördert werden soll. Bei der Produktübersichtsseite der Online-Apotheke der Beklagten handelt es sich um Werbung. Denn es sind dort für einen potentiellen Kaufinteressenten alle notwendigen Angaben für den Kauf der jeweiligen Ware vorhanden: genaue Warenbezeichnung, Packungsgröße und Preis. Der potentielle Käufer muss nach Aufruf der Übersichtsseite auch nicht weiter auf die Detailseite für einzelne Waren klicken, um seinen Kauf abzuschließen. Eine Veranlassung oder Aufforderung wird ihm dazu nicht gegeben. Der Vergleich mit dem Kunden, der im Ladengeschäft eine Ware aus dem Regal nimmt, greift damit zu kurz. Denn durch die Preisangabe und die Möglichkeit das Produkt sogleich in den „virtuellen“ Warenkorb zu legen, wird die Absatzförderungsabsicht schon der Produktübersichtsseite offenkundig…
So ist eine geschäftliche Entscheidung nach der Definition des § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG jede Entscheidung eines Verbrauchers oder sonstigen Marktteilnehmers darüber, ob, wie und unter welchen Bedingungen er ein Geschäft abschließen, eine Zahlung leisten, eine Ware oder Dienstleistung behalten oder abgeben oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit einer Ware oder Dienstleistung ausüben will, unabhängig davon, ob der Verbraucher oder sonstige Marktteilnehmer sich entschließt, tätig zu werden. Der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ erfasst außer der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie insbesondere das Betreten eines Geschäfts oder – wie hier – den Zugang zu einem im Internet angebotenen Produkt über eine Übersichtsseite, um sich mit dem Produkt im Detail zu beschäftigen (BGH, GRUR 2019, 746 Rn. 29, mit weiteren Nachweisen, beck-online). Entgegen der Berufungserwiderung (dort S. 3ff, Blatt 76ff der eAkte des Senats) dient damit auch bereits die Übersichtsseite in werbender Weise der Absatzförderung. Die seitens der Beklagten in Bezug genommene Entscheidung des EuGH (GRUR 2011, 1160, 1163 Rn. 47) steht dem nicht entgegen. Denn es geht vorliegend nicht um eine Informationsübermittlung über eine passive Darstellungsplattform. Vielmehr gleicht die Übersichtsseite einem werbenden Schaufenster…
Im Weiteren hält der Senat, worauf in der Verfügung vom 18.02.2022 hingewiesen worden ist, den von dem Kläger eingenommen Rechtsstandpunkt für zutreffend, dass eine – wie bei den hier interessierenden Desinfektionsmitteln – rechtlich gebotene Gefahrenkennzeichnung von Biozid-Produkten im Internet auf der Produktübersichtsseite erfolgen muss, wenn aus dieser heraus – wie im Streitfall – für den Kunden bereits ein „in den Warenkorb legen“ möglich ist, ohne die Gefahrenkennzeichnung zu Gesicht zu bekommen….“
Art. 72 Biozid-VO ist Marktverhaltensreglung nach § 3a UWG – Immer spürbarer Verstoß gegen Wettbewerbsrecht
Ferner äußert sich das Gericht auch noch zu der Frage der Spürbarkeit des Rechtsverstoßes und führt dazu in den Entscheidungsgründen aus:
„…Ein Verstoß gegen Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO ist regelmäßig, so auch hier, geeignet, den Wettbewerb zum Nachteil von Mitbewerbern und Verbrauchern im Sinne des § 3 Abs. 1, § 3a UWG spürbar zu beeinträchtigen. Es handelt sich um eine unionsrechtliche Informationspflicht. Wird sie missachtet, wird dem Verbraucher eine Information vorenthalten, die der Unionsgesetzgeber als wesentlich erachtet, was eine Spürbarkeit der Beeinträchtigung ohne weiteres nach sich zieht. Außerdem ist bei einem Verstoß gegen Bestimmungen, die – wie Art. 72 Abs. 1 Biozid-VO – dem Schutz der Gesundheit der Verbraucher dienen, grundsätzlich von einer spürbaren Beeinträchtigung im Sinne besagter Regelungen auszugehen (KG Berlin, Urteil vom 22. November 2016 – 5 U 89/15 –, Rn. 55, mit weiteren Nachweisen, juris)…“