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BAG: Kein digitales Zugangsrecht einer Gewerkschaft zum Betrieb durch die Zurverfügungstellung dienstlicher E-Mail-Adressen durch einen Arbeitgeber zwecks Mitgliederwerbung

So das Gericht in seinem Urteil vom 28. Januar 2025 (Az.: 1 AZR 33/24). In dem Rechtsstreit zwischen einer Gewerkschaft und einem Unternehmen war gerade streitig, ob auch auf digitalem Weg über interne Kommunikationsmöglichkeiten des beklagten Unternehmens Werbung für die Gewerkschaft gemacht werden konnte. Einen solchen Anspruch sahen die Richter des BAG nicht und führen dazu unter anderem in den Entscheidungsgründen aus:

„…Zwar geht die Klägerin zu Recht davon aus, dass zu der von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit einer Gewerkschaft grundsätzlich auch die Befugnis gehört, betriebliche E-Mail-Adressen der Arbeitnehmer zu Werbezwecken und für deren Information zu nutzen (vgl. BAG 20. Januar 2009 – 1 AZR 515/08 – Rn. 34, BAGE 129, 145). Die Entscheidung einer Koalition, von einer solchen – bei einem Arbeitgeber technisch eröffneten – Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit den Beschäftigten Gebrauch zu machen, ist von der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit gedeckt und wird damit vom Schutzgehalt des Art. 9 Abs. 3 GG umfasst (vgl. BAG 20. Januar 2009 – 1 AZR 515/08 – Rn. 39, aaO). Bei ihrer Antragstellung übersieht sie allerdings, dass diese von Art. 9 Abs. 3 GG gewährleistete Befugnis einer Gewerkschaft nicht uneingeschränkt besteht. Vielmehr sind die dadurch berührten verfassungsrechtlichen Belange des betroffenen Arbeitgebers und Betriebsinhabers aus Art. 14 und Art. 12 – iVm. Art. 2 Abs. 1 – GG gegenüber ihrem Interesse an einer effektiven Werbung und Information durch den Versand von E-Mails an die Arbeitnehmer abzuwägen. Dabei ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die konkreten Modalitäten – Häufigkeit, Umfang oder Inhalt – einer unaufgeforderten Übersendung von E-Mails zu Werbezwecken zur Störung des Betriebsablaufs oder des Betriebsfriedens und damit zu einem Vorrang der arbeitgeberseitigen Interessen führen können (vgl. BAG 20. Januar 2009 – 1 AZR 515/08 – Rn. 34, 45 ff., aaO). Den Ausgleich dieses Konflikts zwischen den widerstreitenden Interessen der gleichgeordneten Grundrechtsträger müssen die Gerichte – mangels Tätigwerdens des Gesetzgebers – mithilfe einer auf die kollidierenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen bezogenen Abwägung im Einzelfall vornehmen. Das gilt gerade auch dort, wo eine gesetzliche Regelung wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht geboten wäre. Nur so können die Gerichte die ihnen vom Grundgesetz auferlegte Pflicht erfüllen, über einen vor sie gebrachten Rechtsstreit sachgerecht und unter möglichst schonendem Ausgleich der betroffenen Grundrechtspositionen im Weg praktischer Konkordanz zu entscheiden.

(2) Den Gerichten ist eine diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechende Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit in Form der gewerkschaftlichen Mitgliederwerbung im Betrieb aber nicht möglich, wenn – wie im Rahmen des Klageantrags zu 1. – lediglich gesondert über das „Wie“ eines Zugangs zum betrieblichen E-Mail-System und nicht gleichzeitig auch über den beabsichtigten Umfang seiner Nutzung zu Werbezwecken befunden werden soll. Eine den Gerichten verfassungsrechtlich gebotene Entwicklung koordinierender Regelungen für eine von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte gewerkschaftliche Betätigung muss sich stets auf diese als Ganzes beziehen. Eine Begrenzung auf die Frage, ob ein Arbeitgeber einer Gewerkschaft die betrieblichen E-Mail-Adressen seiner Arbeitnehmer mitteilen muss, ließe den mit der Ausübung der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit untrennbar verbundenen Aspekt ihrer späteren Verwendung durch die Gewerkschaft unberücksichtigt. Dies birgt nicht nur die Gefahr, dass die kollidierenden Grundrechte bei einer richterrechtlichen Ausgestaltung der Koalitionsfreiheit nicht umfassend in ihrer Wechselwirkung erfasst werden könnten. Es wäre zudem nicht hinreichend gewährleistet, dass alle konfligierenden grundrechtlichen Gewährleistungen vollständig in die grundrechtliche Abwägung einbezogen würden. Die Frage, wie eine Gewerkschaft Zugang zu einem betrieblichen E-Mail-System erhalten kann, um auf diesem Weg Mitglieder zu werben und Arbeitnehmer zu informieren, lässt sich daher im Rahmen einer richterrechtlichen Rechtsfortbildung nicht von der Frage abspalten, in welcher Art und Weise – insbesondere in welchem Umfang – sie diesen Zugang künftig für die genannten Zwecke nutzen kann. Essentieller Bestandteil der richterrechtlich auszugestaltenden Betätigungsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG muss stets auch die Betätigung der Koalition selbst sein. Eine diesen – einheitlichen – Vorgang aufspaltende Ausgestaltung der Koalitionsbetätigungsfreiheit ist den Gerichten verwehrt. Andernfalls wäre nicht sichergestellt, dass alle aufeinander bezogenen Grundrechtspositionen trotz ihrer Gegensätze nebeneinander bestehen können…“

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