KG Berlin: Vorgabe zur Kündigung durch Dritte von Dauerschuldverhältnissen mit Verbraucherbeteiligung nach § 312h BGB ist eine Marktverhaltensvorschrift im Sinne von § 3a UWG

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So unter anderem das Gericht in seinem Hinweisbeschluss vom 12. Dezember 2024 (Az.: 5 U 77/22) in einem Rechtsstreit, in der Vertragspartnerwechsel im Bereich von Energieversorgungsverträgen streitig war. In dem einstweiligen Verfügungsverfahren war dann zu klären, ob § 312h BGB eine Marktverhaltensregelung nach § 3a UWG ist und damit auch der Anwendungsbereich des UWG eröffnet ist. Das Gericht führt dazu in den Entscheidungsgründen unter anderem aus:

„…§ 312h BGB ist eine Marktverhaltensvorschrift im Sinne des § 3a UWG (so auch LG Berlin Beschluss vom 13. April 2017 – 103 O 35/17 -, BeckRS 2017, 156897 Rn. 3; LG Landau Teilurteil vom 28. März 2018 – HK O 2/17 -, BeckRS 2018, 45219 Rn. 16; Busch in: BeckOGK/BGB, Stand: 1.7.2023, § 312h Rn. 24; Jahn, VuR 2020, 191, 193; Pommerening, GRUR-Prax 2019, 371, 373. Im Rahmen des § 4 Nr. 4 UWG berücksichtigend: OLG München, Urteil vom 28. Februar 2019 – 6 U 914/18 –, Rn. 72, juris; LG München I, Urteil vom 9. November 2021 – 33 O 480/21 –, Rn. 80, juris. Ein gegen § 312h BGB verstoßendes Verhaltes als „unlauter“ im Sinne des § 4 Nr. 4 UWG qualifizierend: Köhler/Alexander in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, aaO., § 4 Rn. 4.27a; keine Marktverhaltensregelung, aber Ansprüche des Altversorgers gem. § 5a UWG: OLG Köln, Urteil vom 15. März 2019 – I-6 U 216/18 –, Rn. 22, juris)….

Eine Marktverhaltensregelung hat der BGH auch für Vorschriften im BGB angenommen, die auf den ersten Blick nur eine vertragsrechtliche Folge regeln und keine Pflichten des Unternehmers begründen. Dies gilt etwa für § 476 Abs. 1 Satz 1 BGB, der die Unwirksamkeit von Vereinbarungen regelt, die die Gewährleistungsrechte bei Verbrauchsgüterkaufverträgen einschränken (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31. März 2010 – I ZR 34/08 –, Rn. 29, juris – Gewährleistungsausschluss im Internet) oder für die Regelung der Unwirksamkeit unangemessen benachteiligender AGB in §§ 307 ff. BGB (vgl. BGH, Urteil vom 31. Mai 2012 – I ZR 45/11 –, Rn. 46, juris – Missbräuchliche Vertragsstrafe; Urteil vom 14. Dezember 2017 – I ZR 184/15 –, Rn. 41, juris – Klauselersetzung; zustimmend Köhler/Odörfer in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, aaO., § 3a Rn. 1.288). Zur Begründung hat der BGH darauf verwiesen, dass diese Vorschriften dem Schutz der Verbraucher dienen. Auch wenn etwaige gegen die Vorschriften verstoßende Vertragsvereinbarungen unwirksam sind, können sie gleichwohl Verbraucher von der Geltendmachung ihrer Rechte abhalten. Damit sind Verstöße gegen diese Vorschriften geeignet, die Interessen der Verbraucher spürbar zu beeinträchtigen (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 2010 – I ZR 34/08 –, Rn. 29 f., juris – Gewährleistungsausschluss im Internet; Urteil vom 31. Mai 2012 – I ZR 45/11 –, Rn. 46, juris – Missbräuchliche Vertragsstrafe).

Dasselbe gilt auch für § 312h BGB (vgl. hierzu Jahn, VuR 2020, 191, 193; Pommerening, GRUR-Prax 2019, 371, 373). Leitet der Unternehmer auf dieser Grundlage einen Versorgerwechsel ein, sind die wettbewerblichen Interessen der Konkurrenten sogar unmittelbarer und weit stärker gefährdet, als dies bei Verstößen gegen andere vertragsrechtliche Verbraucherschutzvorschriften der Fall ist, deren Verletzung anerkanntermaßen auch wettbewerbsrechtliche Sanktionen nach sich zieht (vgl. etwa BGH, Urteil vom 31. März 2010 – I ZR 34/08 –, Rn. 29, juris – Gewährleistungsausschluss im Internet: ausreichend, dass Unternehmer durch gemäß § 476 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksamen Gewährleistungsausschluss Kosten sparen und günstigere Preise kalkulieren können). Der Wettbewerber droht einen Kunden zu verlieren, obwohl der Neuversorger den bestehenden Altvertrag bei Außerachtlassung des Textformerfordernisses nicht zivilrechtlich wirksam kündigen kann. Auch wenn ein Verstoß gegen das dort geregelte Textformerfordernis dazu führt, dass die Kündigung unwirksam ist, werden viele Verbraucher in Unkenntnis dieses Umstandes die Kündigung als gegeben hinnehmen. Sie werden so unter Umständen von dem Widerruf abgehalten, weil sie befürchten, ohne einen Sonderkundenvertrag dazustehen und in die – regelmäßig sehr viel teurere – Grundversorgung (vgl. § 36 EnWG) zu fallen. Hinzu kommt, dass das Widerrufsrecht (§ 312g BGB) den Verbraucher zwar davor schützt, an den Neuvertrag gebunden zu sein, aber nicht davor, den Altvertrag zu verlieren; er befindet sich daher leicht in einer Zwangssituation, die ihn davon abhalten kann, den unerwünschten Neuvertrag zu widerrufen (vgl. MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, § 312h Rn. 2). Genau dieses Hemmnis bei der Ausübung des Widerrufsrechts sollte § 312h BGB beseitigen, indem sie das Erfordernis der Textform von Kündigung bzw. Vollmacht zur Kündigung vorschreibt, um Verbrauchern die Reichweite der Kündigungserklärung vor Augen zu führen (Warnfunktion; vgl. etwa BeckOGK/Busch, BGB [1.7.2023], § 312 h Rn. 2; Koch in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 312h Rn. 1). Zudem dient die Vorschrift nach dem ausdrücklich erklärten Willen des Gesetzgebers dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor unseriösen Geschäftspraktiken, weil das zuvor mögliche „Unterschieben“ von Verträgen erschwert wird (vgl. BT-Drs. 16/10734, 12; BeckOGK/Busch, BGB [1.7.2023], § 312 h Rn. 4; Koch in: Erman, BGB, 17. Aufl. 2023, § 312h Rn. 1; MüKoBGB/Wendehorst, 9. Aufl. 2022, § 312h Rn. 2); sie schützt damit auch dieEntscheidungs- und Verhaltensfreiheit der Verbraucher und das geschützte Interesse wird gerade durch die Marktteilnahme berührt…“