OLG Brandenburg: Wenn das Gericht die Unterlassungsverurteilung nach Auslegung des Klägervortrages bestimmt

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Wenn das Gericht die Unterlassungsverurteilung nach Auslegung des Klägervortrages bestimmt – So geschehen in Gerichtsverfahren, dass das OLG Brandenburg als Berufungsgericht mit Urteil vom 24. Mai 2022 (Az.: 6 U 65/21) entschieden hat. Das Landgericht hatte in der ersten Instanz den Klageantrag des klagenden Wettbewerbsverein in dem Tenor der gerichtlichen Entscheidung erheblich eingeschränkt, und zwar auf ein konkretes Produkt und eine konkrete Internetverkaufsplattform. Gegen diese Einschränkung wendete sich der Wettbewerbsverein mit der Berufung und begründete unter anderem damit, dass kerngleiche Verstöße ausgeklammert werden aus dem Verbotsumfang.

Wenn das Gericht die Unterlassungsverurteilung nach Auslegung des Klägervortrages bestimmt – Ansicht des Gerichts

Dieser Ansicht folgte das OLG nicht und wies die Berufung insoweit zurück. Das Gericht begründete unter anderem wie folgt in den Entscheidungsgründen:

„…Die Formulierung von Unterlassungsanträgen im Wettbewerbsrecht erfolgt in einem Spannungsfeld: Einerseits muss der Unterlassungsantrag bestimmt genug sein, um den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen. Dazu muss der Antrag die Unlauterkeit der inkriminierten geschäftlichen Handlung konkret erfassen. Zugleich müssen zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes Verallgemeinerungen zulässig sein, jedenfalls soweit in diesen Verallgemeinerungen noch das Charakteristische der Verletzungshandlung zum Ausdruck kommt (vgl. nur BGH, Urteil vom 19.05.2010 – I ZR 177/07 (Folienrollos), juris Rn. 17; Urteil vom 23.02.2006 – I ZR 27/03 (Parfümtestkäufe), juris Rn. 37; Urteil vom 02.06.2005 – I ZR 252/02, juris Rn. 14; Urteil vom 23.06.1994 – I ZR 15/92 (Rotes Kreuz), juris Rn. 35). Um den aus diesem Spannungsfeld erwachsenen Anforderungen bei der Formulierung des Unterlassungsantrags zu entsprechen, kann der Unterlassungsantrag – wie hier – auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt werden…

Dies hindert eine Erstreckung des gerichtlichen Unterlassungsgebots auf kerngleiche Verstöße jedoch nicht.

Es entspricht ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der Unterlassungsanspruch regelmäßig nicht auf die konkrete Unterlassungshandlung beschränkt ist, sondern sich auf im Kern gleiche Verletzungshandlungen erstreckt, sofern aufgrund der konkreten Verletzungshandlung die Wiederholungsgefahr auch für solche Verletzungshandlungen vermutet werden kann (vgl. nur BGH, Urteil vom 19.05.2010 – I ZR 177/07 (Folienrollos), juris Rn. 17; Urteil vom 30.04.2008 – I ZR 73/05 (Internet-Versteigerung III), juris Rn. 55; Urteil vom 29.06.2000 – I ZR 29/98 (Filialleiterfehler), juris Rn. 41; Urteil vom 30.03.1989 – I ZR 85/87 (Bioäquivalenz-Werbung), juris Rn. 12). Ob ein Handeln eine Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht darstellt, bestimmt sich nach der durch Auslegung zu ermittelnden Reichweite des Unterlassungstitels. Die Auslegung hat vom Tenor der zu vollstreckenden Entscheidung auszugehen; erforderlichenfalls sind ergänzend die Entscheidungsgründe und unter bestimmten Voraussetzungen auch die Antrags- oder Klagebegründung und der Parteivortrag heranzuziehen (vgl. nur BGH, Beschluss vom 29.09.2016 – I ZB 34/15, juris Rn. 22; Urteil vom 19.05.2010 – I ZR 177/07 (Folienrollos), juris Rn. 17). Die Zugehörigkeit zum Verbotsbereich ist insbesondere dann anzunehmen, wenn neben der in Bezug genommenen konkreten Verletzungshandlung zur Beschreibung abstrakt formulierte Merkmale verwendet werden. Sie haben dann die Funktion, den Kreis der Varianten näher zu bestimmen, die von dem Verbot als kerngleiche Handlungen erfasst sein sollen (BGH, Urteil vom 19.05.2010 – I ZR 177/07 (Folienrollos), juris Rn. 17). Aber auch dann, wenn solche abstrahierenden Merkmale nicht verwendet werden, ist der Verbotsumfang regelmäßig nicht auf die im Urteil beschriebene sog. konkrete Verletzungsform begrenzt, sondern gilt für alle im Kern gleichartigen Verletzungshandlungen, in denen das Charakteristische der konkreten Verletzungsform zum Ausdruck kommt (BGH, Urteil vom 17.09.2015 – I ZR 92/14 (Smartphone-Werbung), juris Rn. 38). Dies gilt unabhängig davon, ob die charakteristischen Merkmale verbal beschrieben oder non-verbal durch eine Abbildung definiert werden.

Etwas anderes gilt lediglich dann, wenn das Verbot ausnahmsweise allein auf die konkrete Verletzungshandlung beschränkt ist, wie z. B. bei einem Unterlassungsantrag betreffend einer konkret bezeichneten werblichen Aussage oder einer bestimmten wissenschaftlichen Studie (vgl. BGH, Urteil vom 22.10.2009 – I ZR 58/07 (Klassenlotterie), juris Rn. 12; Urteil vom 30.03.1989 – I ZR 85/87 (Bioäquivalenz-Werbung), juris Rn. 24; KG, Beschluss vom 29.01.2019 – 5 W 167/18, juris Rn. 6). Dieser Fall liegt allerdings nicht so. Hier ist streitgegenständlich ein Verkaufsangebot, das charakteristische, verallgemeinerungsfähige Merkmale aufweist, nämlich eine gegen § 2 Abs. 1 PAngV verstoßende Werbung im Online-Handel gegenüber Verbrauchern für Spirituosen in Fertigpackungen ohne Angabe des Grundpreises, obwohl der Gesamtpreis nicht dem Grundpreis entspricht. Dieses Charakteristikum wird durch den die konkrete Verletzungshandlung verbal beschreibenden Unterlassungstenor zu 1. nicht eingeschränkt….“