IT-Recht

OLG Rostock: kein Anscheinsbeweis des Zugangs einer E-Mail allein durch deren Absendung

So das Gericht in einem Hinweisbeschluss vom 3. April 2024 (Az.: ) im Rahmen eines Berufungsverfahrens, mit dem das Gericht auf die Erfolglosigkeit des eingelegten Rechtsmittels ausführt. Dabei schließen sich die Richter der bestehenden überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung und Literatur. Das Gericht führt in den Gründen des Beschlusses unter anderem wie folgt aus:

„…Für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang einer feststehendermaßen abgesandten (einfachen, insbesondere ohne Empfangs- oder Lesebestätigung übermittelten) E-Mail sieht der Senat keine Grundlage. Die von der Klägerin für ihren gegenteiligen Standpunkt zuletzt in der Berufungsbegründung zitierte instanzgerichtliche Entscheidung (AG Frankfurt a. M., Urteil vom 23.10.2008 – 30 C 730/08, BeckRS 2009, 5792), die einen Anscheinsbeweis bejaht hat, ist vereinzelt geblieben und hat sich nicht durchgesetzt. Hierauf hat bereits die Beklagte in der Berufungserwiderung unter Fundstellenangabe zutreffend hingewiesen. Es entspricht in der (insbesondere auch obergerichtlichen) Rechtsprechung sowie im Kommentarschrifttum nahezu einhelliger Auffassung, dass für den Zugang einer (im vorbezeichneten Sinne einfachen) E-Mail allein aufgrund des Feststehenden Absendens, auch in Verbindung mit dem feststehenden Nichterhalt einer Unzustellbarkeitsnachricht auf Seiten des Absenders, kein Anscheinsbeweis streitet (etwa: OLG Hamm, Beschluss vom 10.08.2023 – I-26 W 13/23 [Juris; Tz. 5 ff.]; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.08.2018 – 2 Sa 403/18 [Juris; Tz. 39]; LAG Köln, Urteil vom 11.01.2022 – 4 Sa 315/21, MDR 2022, 392 [Juris; Tz. 58 f.]; LG Hagen, Beschluss vom 31.03.2023 – 10 O 328/22 [Juris; Tz. 9]; Erman/Arnold, BGB, 17. Aufl. 2023, § 130 Rn. 33; jurisPK-BGB/Reichold, 10. Aufl. 2023 [Stand: 15.05.2023], § 130 Rn. 65; Staudinger/Singer/Benedict, BGB, Neubearbeitung 2021, § 130 Rn. 110; BeckOK IT-Recht/Borges, 13. Edition – 01.05.2021, BGB § 130 Rn. 58; Grüneberg/Ellenberger, BGB, 83. Aufl. 2024, § 130 Rn. 21; BeckOGK BGB/Gomille, Stand: 01.09.2022, § 130 Rn. 135, m.w.N.). Diese Auffassung teilt auch der Senat. Der Zugang mag unter den genannten Voraussetzungen – sofern sie ihrerseits unbestritten oder erwiesen sind und damit prozessual feststehen – „die Regel“ darstellen, ist aber letztlich jedenfalls unter den gegenwärtigen technischen Bedingungen (noch) nicht in einem Maße typisch, dass die Bejahung einer prima-facie-Beweiserleichterung gerechtfertigt wäre…

Soweit die Klägerin zum Beweis des E-Mail-Zugangs bei der Beklagten auf eine Vorlage bzw. Offenlegung der gesamten elektronischen Posteingänge der Beklagten im hier interessierenden Zeitraum durch die Beklagte verweist, war und ist diesem Beweisantritt nicht nachzugehen. Nicht anders als in der „analogen“ Welt, in der ein Zugangsnachweis in einem Zivilprozess unstreitig nicht dadurch geführt werden könnte, dass die Briefkästen oder gar Wohn- und Geschäftsräume des vermeintlichen Empfängers umfassend auf den in Rede stehenden Brief „durchforstet“ werden und der Prozessgegner diese Maßnahme zu dulden bzw. an ihr gar aktiv mitzuwirken hätte, kann der Beweis des Zugangs einer E-Mail nicht dadurch erbracht werden, dass der vermeintliche Adressat selbst seinen E-Mail-Account mit dem virtuellen Posteingangskorb und ggf. weiteren Ablageordnern („Gelöschte Elemente“ o.ä.) zu Beweiszwecken gleichsam zur Verfügung stellen müsste (auch nicht indirekt im Rahmen einer sachverständigen Begutachtung; LG Duisburg, Beschluss vom 28.06.2010 – 12 S 67/10, RRa 2011, 25 [Juris; Tz. 10]). Ob für die Beklagte hinsichtlich des in Rede stehenden (E-Mail-) Schreibens eine steuer- oder handelsrechtliche Aufbewahrungspflicht bestanden hätte, spielt insoweit keine Rolle. Unabhängig hiervon bieten für eine entsprechende Beweisführung weder die §§ 371 ff. ZPO noch die §§ 142 ff. ZPO eine Grundlage. Die Klägerin selbst hat auch keine rechtliche Grundlage für ihren Beweisantritt benannt…“

Hinweis des Autors:

Ob die Berufung nach dem Hinweis des Gerichts zurückgenommen wurde, ist dem Autor zum Zeitpunkt der Erstellung des Beitrages nicht bekannt.

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