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OLG Hamburg: Im Presserecht keine Verletzung der „prozessualen Waffengleichheit“, dass Antragsteller grundsätzlich bis zur Antragsrücknahme auch vor mehreren Gerichten aktiv sein kann

So das Gericht in seinem Urteil vom 20.Juni 2023 (Az.: 7 U 13/22) in einem presserechtlichen Verfahren.  Der Antragsteller war gegen eine Berichterstattung mit einstweiligen Verfügungsanträgen vor verschiedenen Gerichten vorgegangen, nach dem er vor dem ersten Gericht seinen Verfügungsantrag in Teilen zurückgenommen hatte und dann vor dem Landgericht Hamburg diesen Teil erneut gerichtlich geltend gemacht hatte.

Das Gericht führt in den Entscheidungsgründen unter anderem aus:

„…Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass auch die Tatsache, dass ein Antragsteller – ebenso wie ein Kläger – im Zivilprozess die Möglichkeit hat, durch Rücknahme seines Antrags bzw. seiner Klage bis zu bestimmten Zeitpunkten verschiedene Gerichte anzurufen, keine Verletzung der prozessualen Waffengleichheit darstellt, auch wenn dem Antragsgegner bzw. dem Beklagten diese Möglichkeit nicht offensteht:

Zunächst ist festzuhalten, dass es in der Natur der Sache liegt und dem Willen des Gesetzgebers entspricht, dass ein Antragsteller bzw. Kläger eine Wahlmöglichkeit hat, wenn für ein Verfahren mehrere örtliche Zuständigkeiten bestehen, während der Antragsgegner bzw. Beklagte insoweit im Grundsatz denjenigen von mehreren zulässigen Gerichtsständen hinnehmen muss, den die angreifende Partei ausgewählt hat.

Es ist aber auch nicht ersichtlich, dass die prozessuale Waffengleichheit verletzt wird, wenn sich ein Antragsteller bzw. Kläger entsprechend den vom Gesetz eingeräumten Möglichkeiten entscheidet, seinen Antrag bzw. seine Klage (rechtzeitig) wieder zurückzunehmen, um sodann ein anderes örtlich zuständiges Gericht anzurufen. Dies gilt auch dann, wenn das zunächst angerufene Gericht bereits eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage abgegeben hatte, die für den Antragsteller bzw. Kläger ungünstig ausfiel. Die hierin liegende „Chancenvervielfachung“ für die angreifende Partei, die die Antragsgegnerin moniert, weil eine solche in der Tat für die angegriffene Partei nicht besteht, stellt keine Verletzung des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit dar.

(a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erfordert die prozessuale Waffengleichheit im Verfügungsverfahren eine Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor dem Richter und die gleichwertigen Möglichkeiten zur Ausübung ihrer Rechte (BVerfG, B. v. 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17NJW 2018, 3634 [Rz.27ff]). Dies bedeutet indes nicht, dass die prozessualen Handlungsoptionen der Parteien stets und in allem vollständig deckungsgleich sein müssen. Dem stehen bereits die unterschiedlichen prozessualen Rollen der Aktiv- und der Passivseite eines Verfahrens entgegen. Es ist eine Grundentscheidung des Gesetzgebers, dass der Aktivseite in gewissem Rahmen und bis zu einem bestimmten Zeitpunkt die Dispositionsfreiheit über das von ihr angestrengte Verfahren zusteht. Ausgehend von dieser Prämisse, die zu den Grundsätzen des Zivilprozesses gehört, liegt es in der Natur der Sache, dass die Aktivseite ein Verfahren – im Rahmen der gesetzlichen Grenzen – durch einseitige Handlung beenden kann, der Passivseite diese Möglichkeit aber nicht offensteht. Diese „Ungleichheit“ ist indes nicht Gegenstand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur prozessualen Waffengleichheit im Verfügungsverfahren.

(b) Vielmehr steht die prozessuale Waffengleichheit nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit dem Gehörsgrundsatz aus Art. 103 I GG, der eine besondere Ausprägung der Waffengleichheit ist. Der Gehörsgrundsatz als prozessuales Urrecht gebietet, in einem gerichtlichen Verfahren der Gegenseite grundsätzlich vor einer Entscheidung Gehör und damit die Gelegenheit zu gewähren, auf eine bevorstehende gerichtliche Entscheidung Einfluss zu nehmen entbehrlich ist dies nur in Ausnahmefällen (BVerfG, B. v. 30.9.2018 – 1 BvR 2421/17NJW 2018, 3634 [Rz.28]). Demnach kann es gegen die prozessuale Waffengleichheit verstoßen, wenn es der Antragsgegnerseite verborgen bleibt, dass die Antragstellerseite bereits einen (erfolglosen) Anlauf unternommen hat, eine einstweilige Verfügung zu erlangen; dies war hier aber unstreitig nicht der Fall.

(c) Die hier gegebene Konstellation hingegen stellt nach Ansicht des Senates keinen unzulässigen Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit dar. Zwar hat sich der Antragsteller hier durch die teilweise Rücknahme seines Antrags beim Landgericht K immerhin die Chance verschafft, dass ein zweites Gericht – das Landgericht Hamburg – insoweit die Sache nochmals überprüft und zu einem für ihn günstigeren Ergebnis kommt. Diese (bloße) Chance indes ist auch für den Antragsteller mit Nachteilen verbunden: Er muss nicht nur die anteiligen Kosten für den zurückgenommenen Verfügungsantrag in K tragen, sondern es befindet sich damit auch eine vorläufige Rechtsansicht eines Gerichts „in der Welt“, die für ihn ungünstig ist, denn er darf diesen Umstand bei der erneuten Antragstellung nicht verschweigen. Das kann indes auch seine Chancen für den Erfolg der erneuten Antragstellung bei einem anderen Gericht herabsetzen, weil die Gefahr besteht, dass das zweite Gericht die Argumente des ersten Gerichtes für überzeugend halten könnte. Eine verfassungswidrige Verletzung der prozessualen Waffengleichheit im Sinne der zitierten Rechtsprechung vermag der Senat daher in einer Konstellation wie der vorliegenden nicht zu erkennen. Dies gilt nach den oben dargelegten Grundsätzen allerdings nur dann, wenn – wie hier – das Zweitgericht und die Antragsgegnerseite über die für den Antragsteller ungünstige Ansicht des Erstgerichts in Kenntnis gesetzt werden…“

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