Anwendungsvorrang von Art.80 DSGVO vor § 67 Abs. 2 VwGO – Dies betrifft im Falle eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens gegen eine Entscheidung einer Aufsichtsbehörde zum Datenschutzrecht in den Bundesländern sich als Klagender auf Basis von Art. 80 DSGVO von einer der dort in Absatz 1 genannten Organisationen vertreten zu lassen. Die Regelung der Verwaltungsgerichtsordnung, § 67 II VwGO, tritt hinter die Sonderregelung des Art.80 DSGVO zurück.
Anwendungsvorrang von Art.80 DSGVO vor § 67 II VwGO – Ansicht des Gerichts
Das Gericht führt unter anderem in den Entscheidungsgründen aus:
„…Eine systematische Auslegung von Art. 80 DS-GVO gelangt jedoch zu dem Ergebnis, dass das Spannungsverhältnis zwischen Art. 80 Abs. 1 DS-GVO und § 67 Abs. 2 VwGO dahingehend zum Ausgleich zu bringen ist, dass der Norm der DS-GVO hier ein Anwendungsvorrang einzuräumen ist.
Die Komplettierung der Instrumente zur Durchsetzung der DS-GVO durch Organisationen ist von der Gestaltung des mitgliedstaatlichen Rechts abhängig (vgl. Schantz in: Schantz/Wolff DatenschutzR, Rn. 1273). Dies gilt zum einen für die Möglichkeit, Schadensersatzansprüche geltend machen zu lassen (Abs. 1), und zum anderen für das Verbandsbeschwerde- bzw. -klagerecht als solches (vgl. Frenzel in: Paal/Pauly, 3. Auflage 2021, DS-GVO, Art. 80 Rn. 13). In Deutschland trifft die DS-GVO deswegen auf die bestehenden Regelungen (§§ 1, 2 Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechts- und anderen Verstößen, §§ 3a Abs. 1, 8 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb). Diese müssen sich am Anspruch des Art. 80 Abs. 2 DS-GVO messen lassen (vgl. Paal/Pauly/Frenzel, 3. Aufl. 2021, DS-GVO Art. 80 Rn. 13). Diese Ansicht ist allgemein anerkannt und folgt aus dem Verweis des Art. 80 Abs. 1 Hs. 2 DS-GVO („[…] sofern dieses im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehen ist.“), welcher sich jedenfalls auch auf die letzte Variante des Satzes 1 („[…] und das Recht auf Schadensersatz gemäß Artikel 82 in Anspruch zu nehmen, […]“) bezieht.
Fraglich ist indes, inwiefern sich der letzte Halbsatz von Art. 80 Abs. 1 DS-GVO auf die ganze Vorschrift bezieht oder ausschließlich auf die letzte Variante des Satzes 1. Denn bei Bezugnahme auf die ganze Vorschrift bleibt es bei dem Anwendungsvorrang der VwGO als nationales Recht eines Mitgliedsstaates, sodass eine Vertretungsbefugnis in Ermangelung der Voraussetzungen des § 67 VwGO gerade nicht in Betracht kommt. Sofern der letzte Halbsatz sich nur auf das Recht, Schadensersatz in Anspruch zu nehmen, bezieht, erweitert die DS-GVO den Anwendungsbereich von § 67 VwGO, welcher sich bislang als abschließend darstellte. Die Auslegung des Halbsatzes ist also maßgeblich für den Geltungsumfang von Art. 80 Abs. 1 DS-GVO.
Das Gericht ist der Auffassung, dass sich der in Art. 80 Abs. 1 DS-GVO letzter Halbsatz vorgesehene Vorbehalt nationalen Rechts nur auf die vertretungsweise Geltendmachung von Schadensersatz nach Art. 82 DS-GVO bezieht.
Hierfür spricht zunächst der Wortlaut ausweislich des Demonstrativpronomens „dieses“. Wegen des Ursprunges der DS-GVO im Europarecht erscheint es zudem geboten, zur Auslegung des Wortlautes auch anderssprachige Fassungen der europäischen Verordnung heranzuziehen. So lautet Artikel 80 der Verordnung (EU) Nr. 2016/679 des europäischen Parlamentes in englischer Sprache1 wie folgt:
Article 80
Representation of data subjects
1. The data subject shall have the right to mandate a not-for-profit body, organisation or association which has been properly constituted in accordance with the law of a Member State, has statutory objectives which are in the public interest, and is active in the field of the protection of data subjects‘ rights and freedoms with regard to the protection of their personal data to lodge the complaint on his or her behalf, to exercise the rights referred to in Articles 77, 78 and 79 on his or her behalf, and to exercise the right to receive compensation referred to in Article 82 on his or her behalf where provided for by Member State law.
[…]
Dabei wird aus dem Satzbau erkenntlich, dass einerseits die Möglichkeit der Beauftragung einer Vereinigung besteht, die die in den Artikeln 77, 78 und 79 genannten Rechte in fremden Namen wahrnimmt („[…] to exercise the rights referred to in Articles 77, 78 and 79 on his or her behalf, […]“) und auf der anderen Seite das Recht auf Schadensersatz, sofern dieses Recht im Recht der Mitgliedsstaaten vorgesehen ist, welches hiervon in der Gesamtschau getrennt zu betrachten ist („[…] and to exercise the right to receive compensation referred to in Article 82 on his or her behalf where provided for by Member State law.“).
Vor allen Dingen spricht für den ausschließlichen Bezug des letzten Halbsatzes lediglich auf den vorletzten der Sinn und Zweck der betroffenen Norm. Art. 80 DS-GVO soll betroffenen Personen die Möglichkeit geben, die ihnen zustehenden Rechte nicht selbst oder mittels eines Rechtsanwaltes durchzusetzen, sondern hiermit bestimmte Institutionen, die im öffentlichen Interesse tätig sind, zu beauftragen (vgl. Kreße in: Sydow, Europäische Datenschutzgrundverordnung, 2. Auflage 2018, DSGVO, Art. 80 Rn. 1). Dies soll für die Betroffenen die Wahrnehmung ihrer Rechte erleichtern und den spezifischen Schutz ihrer Interessen gewährleisten (vgl. Schatz, Die Datenschutz-Grundverordnung, NJW 2016, 1841 [1847] sowie Karg in: Wolff/Brink, BeckOK Datenschutzrecht, Stand: November 2021, DS-GVO, Art. 80 Rn. 6). Soweit in einem einfachen Verfahren ohne einen vom Mitgliedsstaat statuierten Anwaltszwang eine Vertretung durch eine Vereinigung im Sinne von Art. 80 Abs. 1 DS-GVO per se ausgeschlossen würde, liefe die Vorschrift ins Leere und würde ihren Zweck verfehlen. Die in Art. 80 Abs. 1 DS-GVO bezeichneten Institutionen könnten dann gerade nicht mehr im öffentlichen Interesse losgelöst von einem konkreten Auftrag bestimmte Rechte natürlicher Personen durchsetzen, was die Effektivität der Datenschutzvorschriften insgesamt lähmen würde. Der durch die Norm beabsichtigte Ausbau des kollektiven Rechtsschutzes im Datenschutzrecht würde geschwächt und das von Verbraucherschutzverbänden monierte Vollzugsdefizit weiterhin bestehen bleiben.
Systematisch verkennt das Gericht zwar nicht, dass hinsichtlich eines gerichtlichen Vorgehens nach Art. 78 und Art. 79 DS-GVO das Gesetz dagegen nicht vorsieht, dass die Organisation im Namen der betroffenen Person den Rechtsbehelf selbst einlegen kann, sondern nur, dass sie deren Rechte wahrnehmen kann. Anders als hinsichtlich der Beschwerde gesteht Art. 80 Abs. 1 DS-GVO der Vereinigung mithin nur ein Vertretungsrecht auf einer höheren Abstraktionsebene zu. Unklar bleibt also, ob der Gesetzgeber tatsächlich mit dem abweichenden Wortlaut eine inhaltliche Unterscheidung vornehmen wollte – Art. 77 DS-GVO ist immerhin auch in den „wahrzunehmenden“ Rechten aufgeführt –. Jedoch kann aber gerade in Anlehnung an den Wortlaut und die Ratio von Art. 80 DS-GVO festgestellt werden, dass Abs. 1 nationale Vertretungserfordernisse vor Gericht nicht verbietet, sodass etwa ein in den Verfahrensordnungen vorgesehener Anwaltszwang also zulässig bleibt (vgl. Moos/Schefzig in: Taeger/Gabel, DS-GVO, 3. Auflage 2019, Art. 80 Rn. 16 sowie Bergt in: Kühling/Buchner, a.a.O. Rn. 11c m.w.N.). In Anlehnung dazu spricht für eine Öffnungsklausel für die Mitgliedstaaten nur hinsichtlich der Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen, nicht hinsichtlich der Rechtsbehelfe nach Art. 78 und Art. 79 DS-GVO auch die Ratio, gerade eine umfassende Postulationsfähigkeit regeln zu wollen (vgl. auch Kreße in: Kühling/Buchner/Bergt, 3. Auflage 2020, DS-GVO Art. 80 Rn. 11c m.w.N. [Eine vermittelnde Auslegung ginge dahin, dass der Verband sämtliche Rechtsbehelfe einlegen kann, die auch die betroffene Person selbst einlegen könnte. Im Parteiprozess wäre die Vereinigung damit auch vor Gericht vertretungsbefugt, nicht jedoch im Anwaltsprozess, vgl. Kreße in: Kühling/Buchner/Bergt, a.a.O. m.w.N.]). Die DS-GVO selbst ist als europäische Verordnung unmittelbar in den Mitgliedstaaten geltendes Recht. Damit kommt ihr ein Anwendungsvorrang vor jedem mitgliedstaatlichen Recht zu (vgl. Art. 288 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Art. 99 Abs. 5 DS-GVO, § 1 Bundesdatenschutzgesetz). Aus dem Vorrang des Unionsrechts folgt nicht nur die Unanwendbarkeit kollidierenden nationalen Rechts, sondern eben auch die Verpflichtung der Gerichte, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen.
Nach alldem kann festgestellt werden, dass das Vertretungsrecht des Art. 80 DS-GVO ins Leere läuft, soweit das nationale Verfahrensrecht – wie hier § 67 Abs. 2 VwGO – bestimmte Organisationen im Sinne des Art. 80 DS-GVO von einer Vertretung vor Gericht grundsätzlich ausschließt (a.A. VG Wiesbaden, Urteil vom 05. Mai 2021, Az.: 6 K 60/21.WI, Rn. 22 – zitiert nach juris). Das Abstellen auf das nationale Prozessrecht würde faktisch zur Streichung des Klagerechts führen. Die Möglichkeit, Institutionen mit der Wahrnehmung der Rechte aus Art. 77–79 DS-GVO zu beauftragen, kann durch die Mitgliedstaaten nicht eingeschränkt werden, sodass die in Art. 80 DS-GVO bezeichneten Institutionen insoweit kraft Unionsrechts postulationsfähig sind und sich § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 VwGO in Bezug auf Art. 80 Abs. 1 DS-GVO als unionsrechtswidrig darstellt (vgl. Kreße in: Sydow, a.a.O. Rn. 11)…“