Sonstiges IP-Recht,  Urheberrecht,  Wettbewerbsrecht

OLG Köln:Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Verfügungsverfahren

Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Verfügungsverfahren – Diese kann zum Nachteil des Antragsstellers durch das Verhalten seines Prozessbevollmächtigten widerlegt werden. Da hier eine Einzelfallbetrachtung erforderlich ist, hat das OLG Köln in seinem Urteil vom 10. März 2022 (Az.: 15 U 244/21) entschieden.

Hintergrund des Rechtsstreites war ein Unterlassungsanspruch eines ehemaligen Fußballnationalspielers gegen einen bekannten Comedian wegen einer Aussage von diesem im Rahmen eines TV-Auftritts.

Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Verfügungsverfahren – Ansicht des Gerichts zum Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist

Das OLG Köln sieht eine pauschale Annahme, die Dringlichkeitsvermutzung sein als widerlegt anzusehen, wenn ein Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt wird, nicht als gegeben an.

Das Gericht führt in den Entscheidunggründen unter anerem aus:

„…Indes erscheint diese Lesart so pauschal überzogen streng und verstellt den Blick auf die tatsächlich gebotene Einzelfallbetrachtung, zumal die rein prozessualen Möglichkeiten einer Fristverlängerung für Rechtsmittelfristen – die ohnehin primär auf „normale“ Klageverfahren ausgelegt sind – mit der Frage der „Dringlichkeit“ unmittelbar nichts zu tun haben und es allenfalls um indizielle Auswirkungen auf die tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit gehen kann (grundlegend Teplitzky, WRP 2013, 1414 ff.); deswegen ist stets eine Würdigung im Einzelfall geboten (so auch OLG Hamburg v. 21.03.2019 – 3 U 105/18, juris, Rn. 45; gegen Dringlichkeitsschädlichkeit einer prozessual zulässigen Fristverlängerung und –ausschöpfung – überholt – aber sogar noch OLG Hamburg v. 08. Juli 1976 – 3 U 45/76, juris Rn. 38; v. 17.08.1995 – 3 U 87/95, WRP 1996, 27, 28). Mit Blick darauf wird eine Dringlichkeitsschädlichkeit von der herrschenden Meinung nur dann diskutiert, wenn man über den Fristverlängerungsantrag hinaus die zweimonatige Berufungsbegründungsfrist auch tatsächlich überschritten hat (so OLG München v. 30.06.2016 – 6 U 531/16, GRURRR 2016, 499 Rn. 79 selbst bei nur wenigen Tagen), wobei zumeist zusätzlich eine „nicht unerhebliche“ Verlängerung der Frist vorausgesetzt wird, bei der man die so bewilligte Frist auch „nicht unerheblich“ oder sogar vollständig „ausnutzt“ (so etwa schon Senat v. 19.01.2012 – 15 U 195/11, BeckRS 2012, 5820; siehe ferner OLG Frankfurt v. 02.09.2021 – 19 U 86/21, juris  Rn. 52 ff.; v. 13.09.2001 – 6 U 79/01, juris Rn. 4 f. – 6 Tage unschädlich; OLG Dresden v. 06.03.2018 – 4 U 1675/17, NJW-RR 2018, 1135 Rn. 7 f.; OLG Hamburg v. 18.08.2017 – 7 U 72/17, BeckRS 2017, 127226 Rn. 2 ff.; OLG Celle v. 17.09.2015 – 13 U 72/15, BeckRS 2016, 17073; KG v. 16.04.2009 – 8 U 249/08, BeckRS 2009, 14692; OLG Düsseldorf v. 15.07.2002 – 20 U 74/02, GRUR-RR 2003, 31; OLG Köln v. 05.07.1999 – 16 U 3/99, BeckRS 1999, 30065637; OLG München v. 09.08.1990 – 6 U 3296/90, GRUR 1992, 328; OLG Naumburg v. 20.09.2012 – 9 U 59/12, MMR 2013, 131, 132 – zwei Wochen unschädlich; siehe allg. auch MüKo-ZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, § 935 Rn. 22; Dötsch, MDR 2010, 1429, 1433; Feddersen, in: Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 12. Aufl. 2019, Kap. 54 Rn. 27; Schlingloff, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 401; offen Senat v. 18.03.2019 – 15 U 25/19, BeckRS 2019, 22208 bei Verlängerung um eine Woche über Karneval im Rheinland)…..Mit Blick darauf und auf die weitere Tatsache, dass es hier um einen Fristablauf kurz nach den Weihnachts-/Neujahrstagen mit einer Urlaubsabwesenheit des Verfahrensbevollmächtigten ging und zudem nicht gesetzt ist, dass der Verfahrensbevollmächtigte selbst ohne den richterlichen Hinweis der Vorsitzenden (siehe zu dessen Bewertung den Beschluss des Senats vom 17.02.2022 – 15 U 244/21, Bl. 211 ff. d. Senatshefts mit Blick auf § 42 ZPO) die beantragte Frist auch tatsächlich voll ausgeschöpft hätte, ist die indizielle Wirkung (nur) des Antrages aber noch nicht so deutlich, dass in der Gesamtschau schon ein dringlichkeitsschädliches Verhalten anzunehmen wäre. Ist etwa das OLG Frankfurt v. 24.09.2015 – 6 U 60/15, BeckRS 2016, 1414 Rn. 4 in einem ganz ähnlichen Fall – dort sogar nach erfolgter Fristverlängerung – bei auf einen richterlichen Hinweis auf die möglichen Folgen hin zumindest noch zeitnah eingereichter Berufungsbegründung vom Fortbestehen des Verfügungsgrundes ausgegangen, kann vorliegend nichts anderes gelten, zumal hier sogar noch innerhalb der regulären Begründungsfrist reagiert und die Begründung fristgerecht vorgenommen worden ist. Allein auf das bloße Einreichen des Verlängerungsantrages als Indiz für eine Selbstwiderlegung der Dringlichkeit abzustellen, wäre in einem solchen Fall zu streng (vgl. auch erneut Schlingloff, in: Münchener Kommentar zum Lauterkeitsrecht, 2. Aufl. 2014, § 12 Rn. 401: „Der Verlängerungsantrag selbst schadet nicht, wenn die beantragte und gewährte Verlängerung nicht oder nur unerheblich ausgenutzt wird.“)…“

Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Verfügungsverfahren – Ansicht des Gerichts zur Säumnis in Widerspruchsverhandlung

Auch hier sieht das Gericht keine pauschale Widerlegung als gegeben an. Das Gericht führt in den Entscheidungsgründen aus:

„…Der Verfügungsbeklagte dringt auch nicht mit der weiteren Erwägung durch, dass die Dringlichkeitsvermutung allgemein eben auch dadurch widerlegt werden kann, dass ein Verfügungskläger in einem auf einen Widerspruch (§ 924 ZPO) hin anberaumten Termin säumig bleibt (vgl. OLG Frankfurt v. 04.09.2020 – 10 U 18/20, NJW-RR 2021, 117 Rn. 19 m.w.N.; jedenfalls bei Ausschöpfen der Einspruchsfrist auch OLG Düsseldorf v. 25.08.2015 – 20 U 196/14, BeckRS 2015, 16904). Denn die Versuche des Verfügungsbeklagten, dem den Fall einer „nicht ordnungsgemäßen Vertretung“ im Termin gleichzustellen, tragen hier gleich mehrfach nicht: Zum einen war tatsächlich eine Prozessvollmacht vor Verfahrensbeginn erteilt und allein der formale Nachweis scheiterte in der besonderen, durch die spontane Rüge i.S.d. § 80 Abs. 1 ZPO erst in der mündlichen Verhandlung und die durch die allseitige Teilnahme an diesem Termin nach § 128a Abs. 1 ZPO besonders erschwerten Reaktionsmöglichkeiten. Soweit die Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsbeklagten meint, dass „ein gewissenhafter Anwalt „auf Nummer sicher gegangen“ (wäre) und … jedenfalls die erforderliche Vollmacht zum Nachweis bei sich geführt“ hätte, verkennt sie zum anderen schon ganz grundlegend, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers die Vollmachtsurkunde tatsächlich „greifbar“ in seiner Kanzlei bei sich hatte und allein das rechtzeitige Verbringen der Urkunde an die richtige Stelle eines der größten Landgerichte der Bundesrepublik in der besonderen Situation der Verhandlung nach § 128a Abs. 1 ZPO zum rein praktischen Problem geworden ist. Hier eine „Selbstwiderlegung“ der Dringlichkeit allein daraus abzuleiten, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Verfügungsklägers in der Situation im Termin möglicherweise bei prozessual etwas „geschickterem“ Vorgehen noch einen weiteren Fristverlängerungsantrag für die Beibringung (etwa um 30 Minuten) hätte stellen können – was das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung als geeignete Reaktionsmöglichkeit angesprochen hat – und dies versäumt worden ist, ginge nach Auffassung des Senats hier zu weit, zumal man sich ansonsten um eine zeitnahe Vorlage der Urkunde eben durchaus bemüht und diese sogleich auf den Weg zum Landgericht gebracht hatte….“

Kommentare deaktiviert für OLG Köln:Dringlichkeitsvermutung im einstweiligen Verfügungsverfahren
Cookie Consent mit Real Cookie Banner