Dies ist eine der Feststellungen, die das Gericht in seinem Urteil vom Urteil vom 18. Juli 2023 (Az.: 3 U 1092/23) in einem einstweiligen Verfügungsverfahren rund um die Bewerbung von Nahrungsergänzungsmitteln und deren Bewerbung getroffen hat.
In der Abmahnung, die dem Gerichtsverfahren voranging, war ein Entwurf einer Unterlassungserklärung enthalten, die folgenden Passus für eine Vereinbarung einer Vertragsstrafe enthielt:
„für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen eine der vorstehenden Unterlassungsverpflichtungen, und zwar auch im Fall der Zuwiderhandlung durch einen Erfüllungsgehilfen, unter Ausschluss der Einreden des Fortsetzungszusammenhangs oder der natürlichen Handlungseinheit, eine von der Firma N. zu bestimmende und vom zuständigen Gericht auf ihre Angemessenheit zu überprüfende Vertragsstrafe. Im Falle von Dauerhandlungen, etwa durch eine Zuwiderhandlung im Internet, gilt dabei jede angefangene Woche der Zuwiderhandlung als einzelner Verstoß“
Das Gericht sah darin allein kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch und begründet in den Entscheidungsgründen unter anderem wie folgt:
„…a) Vorab ist darauf hinzuweisen, dass dieses Vorgehen entgegen der Rechtsauffassung des Erstgerichts nicht unter das Regelbeispiel des § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG subsumiert werden kann.
Nach § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG ist eine rechtsmissbräuchliche Geltendmachung im Zweifel anzunehmen, wenn eine vorgeschlagene Unterlassungsverpflichtung offensichtlich über die abgemahnte Rechtsverletzung hinausgeht. Unter diese Nummer fällt der Vorschlag von Unterlassungsverpflichtungen, die deutlich über die geschuldete Verpflichtung zur Unterlassung hinausgehen und die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass der Abgemahnte hiergegen verstößt (Begründung Regierungsentwurf, BT-Drs. 19/12084, S. 30). Der vom Regelbeispiel des § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG erfasste Missbrauchstatbestand betrifft daher solche Unterwerfungsverlangen, die im Vergleich zur abgemahnten Rechtsverletzung inhaltlich dahingehend zu weit gefasst sind, dass sie über die durch die begangene konkrete Verletzungshandlung begründete tatsächliche Vermutung der Wiederholungsgefahr in unvertretbarer Weise hinausgehen.
Im vorliegenden Fall bezieht sich die geforderte Unterlassungserklärung auf die jeweils beanstandete konkrete Rechtsverletzung, was sich bereits daraus ergibt, dass dieser jeweils der Zusatz angefügt war „wenn dies geschieht wie in Anlage […]“. Dass die Verfügungsbeklagte auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit verzichten und bei Dauerhandlungen jede angefangene Woche der Zuwiderhandlung als einzelner Verstoß gelten sollte, betrifft nicht den Umfang der geschuldeten Unterlassung, sondern die aus einem Verstoß resultierende Rechtsfolge der Höhe der verwirkten Vertragsstrafe. Dies ergibt sich auch daraus, dass diese Folgen in einer nur die Strafbewehrung regelnden Ziffer 2. enthalten sind.
Eine andere Beurteilung ist nicht deshalb veranlasst, weil eine vorformulierte, „versteckte“ verschuldensunabhängige Unterlassungserklärung als rechtsmissbräuchlich (BGH, GRUR 2012, 730 Rn. 17 ff. – Bauheizgerät) und unter das Regelbeispiel des § 8c Abs. 2 Nr. 5 UWG fallend (Feddersen, a.a.O. § 8c Rn. 22) angesehen wird. Denn das Verlangen einer verschuldensunabhängigen Vertragsstrafe ist eine – im Vergleich zu den Vorgaben des § 339 BGB – inhaltliche Haftungsverschärfung und betrifft damit die Frage der Wahrscheinlichkeit, ob der Abgemahnte hiergegen verstößt, wogegen sich die im Streitfall problematische Frage des Umfangs der Sanktionierung von Dauerverstößen überwiegend auf die Rechtsfolge von Zuwiderhandlungen bezieht.
b) Es liegt auch keine Vereinbarung oder Forderung überhöhter Vertragsstrafen i.S.v. § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG vor.
aa) Nach der bisherigen Rechtsprechung lag ein starkes Indiz für einen Missbrauch im Sinne einer im Vordergrund stehenden Einnahmeerzielungsabsicht vor, wenn der Abmahnende systematisch überhöhte Vertragsstrafen verlangt (BGH, GRUR 2012, 286 Rn. 13 – Falsche Suchrubrik; BGH, GRUR 2016, 961 Rn. 15 – Herstellerpreisempfehlung bei Amazon). Das Regelbeispiel übernimmt die Forderung nach „systematisch“ überhöhten Vertragsstrafen zwar nicht. Nach dem Wortlaut müssen aber (mehrere) „offensichtlich überhöhte Vertragsstrafen“ vereinbart oder gefordert werden. Es bleibt also unter Geltung des neuen § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG dabei, dass eine einzige offensichtlich überhöhte Vertragsstrafe einen Missbrauch nicht indiziert (Goldmann, in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 5. Aufl. 2021, § 8c Rn. 192).
Durch den in § 8c Abs. 2 Nr. 4 UWG verwendeten Begriff „offensichtlich“ soll verdeutlicht werden, dass nur eindeutige und ohne Weiteres erkennbare Fälle erfasst werden sollen und nicht Konstellationen, in denen dem Abmahnenden bloße Flüchtigkeitsfehler unterlaufen sind oder seine Forderung sich aus der Sicht e. noch im üblichen Rahmen hielt (Beschlussempfehlung, BT-Drs. 19/22238, S. 17).
bb) Im vorliegenden Fall fügte die Verfügungsklägerin der Abmahnung zum einen eine vorformulierte Unterlassungserklärung bei, durch welche sich die Verfügungsbeklagte zur Zahlung einer Vertragsstrafe für jeden Fall der Zuwiderhandlung zum einen unter Ausschluss der Einrede der natürlichen Handlungseinheit verpflichtete. Bei Vorliegen von natürlicher Handlungseinheit werden mehrere Verhaltensweisen zusammengefasst, die auf Grund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen (BGH, GRUR 2009, 427 Rn. 13 – Mehrfachverstoß gegen Unterlassungstitel).
In Allgemeinen Geschäftsbedingungen wäre eine Vertragsklausel, nach der eine Zusammenfassung einer Vielzahl von Einzelverstößen von vornherein ausgeschlossen wird, nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB grundsätzlich unwirksam, falls nicht besondere Umstände vorliegen, die die Unangemessenheit der Benachteiligung ausschließen (Bornkamm/Feddersen a.a.O. § 13a Rn. 27). Dagegen können die Parteien in einer Individualabrede vereinbaren, dass eine Zusammenfassung mehrerer oder aller Verstöße zu einer einzigen Zuwiderhandlung nach den Grundsätzen der natürlichen Handlungseinheit oder einer Handlung im Rechtssinne nicht erfolgen soll (BGH, GRUR 2009, 181 Rn. 39 – Kinderwärmekissen).
Vor diesem Hintergrund kann das Begehren der Verfügungsklägerin in der Abmahnung, dass die Verfügungsbeklagte auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit verzichten solle, nicht ein Indiz für die Rechtsmissbräuchlichkeit darstellen. Zwar mag dieses Ansinnen dazu führen, dass die Verfügungsbeklagte eine derartige Vertragsstrafe gemäß § 13a Abs. 4 UWG nicht schulden würde. Die Schwelle zur Offensichtlichkeit einer überhöhten Vertragsstrafe ist hingegen nicht überschritten, da eine Individualvereinbarung, wonach mehrere Verstöße nicht zu einer Einheit zusammengefasst werden sollen, nicht per se unzulässig ist, zumal es nach der neueren Rechtsprechung für sich allein nicht ausreicht, wenn der Abmahnende einen Verzicht auf die Einrede des Fortsetzungszusammenhangs fordert (BGH, GRUR 2012, 286 Rn. 15 – Falsche Suchrubrik; a.A. BGH, NJW 1993, 721 – Fortsetzungszusammenhang).
cc) Darüber hinaus hat die Verfügungsklägerin im Streitfall gefordert, dass im Fall von Dauerhandlungen, etwa durch eine Zuwiderhandlung im Internet, jede angefangene Woche der Zuwiderhandlung als einzelner Verstoß gilt.
(1) Für Rechtsmissbräuchlichkeit spricht, dass diese Forderung über den Verzicht auf die Einrede der natürlichen Handlungseinheit deutlich hinaus geht und einen erheblichen Verstoß gegen wesentliche Grundgedanken des Vertragsstrafenrechts darstellt. Denn in der Regel ist eine einheitliche Handlung anzunehmen, wenn dem Schuldner eine Handlung vorgeworfen wird, wie etwa das Einstellen einer Werbung in das Internet (OLG Köln, GRUR-RR 2020, 224 Rn. 78 – Arzneimittelfamilie). Durch die ausdrückliche Vereinbarung, dass Dauerhandlungen als ein Verstoß pro Woche anzusehen sein sollen, kann ein potenziell mit leichter Fahrlässigkeit begangener Verstoß – z B. wegen einer versehentlich nicht gelöschten Werbeaussage – als eine Vielzahl von Verstößen mit einer Aufsummierung zu erheblichen Vertragsstrafen geahndet werden.
(2) Gegen Rechtsmissbrauch spricht hingegen, dass nach § 13a Abs. 1 Nr. 1 UWG bei der Festlegung der Angemessenheit einer Vertragsstrafe die Art und das Ausmaß der Zuwiderhandlung maßgeblich sein sollen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die Dauer der Verletzungshandlung, weshalb bei einer längeren Zuwiderhandlung im Internet die Vertragsstrafe höher angesetzt werden kann als bei nur kurzen Verstößen von lediglich einer Woche.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei der vorliegenden Vertragsstrafenvereinbarung gemäß § 315 Abs. 1 BGB der Verfügungsklägerin für den Fall einer künftigen Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungspflicht die Bestimmung der Strafhöhe nach ihrem billigen Ermessen überlassen bleiben sollte („Hamburger Brauch”) und nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB eine gerichtliche Überprüfung der von der Verfügungsklägerin vorgenommenen Bestimmung der Vertragsstrafenhöhe in der Vereinbarung vorgesehen war (vgl. BGH, GRUR 2010, 355 Rn. 30 – Testfundstelle). Ihre Festsetzung muss daher insgesamt billigem Ermessen entsprechen (§ 315, § 316 BGB). Ist das nicht der Fall, ist die Festsetzung nicht verbindlich und unterliegt dann der gerichtlichen Bestimmung (§ 315 Abs. 3, § 319 BGB). Diese Art der Vertragsstrafenbestimmung kompensiert in einem gewissen Umfang die willkürliche Aufspaltung von Dauerverstößen pro Woche…“